Ein Jahr nach dem ME-Wochenende (2003) wurde ein neues Zeitungsteam gesucht. Ingrid und ich wollten uns einbringen und erzählten das bei einem Monatstreffen in Bad Ischl. Für uns völlig überraschend, riefen uns Elfi und Dietmar Loidl an, die damals für ME-Österreich verantwortlich waren, um dieses Thema zu besprechen.
Wow, das war für uns, als würde der Bundespräsident persönlich mit uns sprechen wollen! Mit nur einem Jahr ME-Erfahrung waren wir alles andere, als prädestiniert für diesen Dienst. Wir hatten in Wirklichkeit keine Ahnung, was da auf uns zukommen würde, waren aber trotzdem voller Begeisterung. Elfi und Dietmar setzten sehr viel Vertrauen in uns, es war ihnen aber wichtig, dass wir das nicht alleine stemmen. Also versuchten wir, die drei Paare unserer neuen Gmundner Dialogrunde, mit der wir uns seit kurzem regelmäßig trafen, davon zu begeistern, was uns auch gelang. Elfi und Dietmar wurden übrigens später gute Freunde von uns.
Schon bei der ersten Zeitungsausgabe stellte sich ziemliche Ernüchterung ein. Wir waren in diesem Team einfach sooo unterschiedlich! Eine Künstlerin war für das Deckblatt zuständig. Sie wollte auf der ersten Ausgabe ein Foto mit einer schwarzen Familie abbilden (und hat sich auch durchgesetzt). Mit zitternder Stimme fragte ich sie, was dieses Foto ihrer Meinung nach mit Paarbeziehung zu tun hat? Damit trat ich einen Konflikt los, der nur mehr schwer einzufangen war. Eine andere, sehr belesene Frau suchte Gedichte heraus, die für mich zu poetisch waren, um sie tatsächlich zu verstehen. Mir war jedoch klar, dass ich jetzt nicht noch eine zweite Kritik anbringen konnte.
Mir erschien alles unpassend, was oberflächlich war, das Thema Paarbeziehung nur indirekt traf und einem beim Lesen nicht wirklich unter die Haut ging. So waren diese drei Jahre Zeitungsverantwortung hauptsächlich von Kompromissen geprägt.
Ein besonderes Highlight war, als Ingrid und ich beim Regionalverantwortlichen-Treffen in Wien zum ersten Mal unsere Zeitungsarbeit vorstellen sollten. Wir wurden eingeladen, vor versammelter Führungsmannschaft von ME-Österreich einen Vortrag zu halten! „Puh! Das sind mehr als dreißig Leute und sogar ein Priester ist dabei – ich bringe kein Wort heraus!“, dachte ich mir. Kneifen traute ich mich auch nicht, also nutzten wir die acht Wochen Zeit, die wir noch hatten, um uns möglichst gut vorzubereiten. Es wäre bei ME keine Schande gewesen, unseren Text einfach wie einen Aufsatz herunter zu lesen. Ich witterte jedoch die Chance, die darin lag, um endlich vor anderen Menschen sprechen zu lernen. Ich wusste ja, dass ich mit meinem Knacks an allen Ecken und Enden Probleme hatte. Nicht nur bei ME, sondern auch in der Firma wurde es mir immer enger, umso verantwortungsvoller meine Aufgaben wurden.
Zu Hause probten wir unseren Auftritt, der nicht länger als zehn Minuten dauerte, fast bis zum Umfallen. Bevor wir mit unserem Vortrag begannen, war ich so nervös, dass ich meinen Puls deutlich bis in meinen Kopf spürte. Ich stotterte weniger als befürchtet, hing nicht nur am Zettel und wagte mehr Blick in die Menge, als ich mir das jemals erträumt hätte. Vom Wohlwollen unserer Zuhörer getragen, war es eine sehr positive Erfahrung. Es kamen Fragen aus dem Publikum, die ich gut beantworten konnte. Wir erhielten Zustimmung für unsere Pläne, die Menschen drückten ihre Freude über unser Engagement aus, klopften uns auf die Schultern mit Worten wie, „ihr seid echt ein tolles Paar“, „wir sind stolz auf unser Zeitungsteam“, „wir hoffen, dass wir uns wieder sehen“,…
Was für eine heilsame Erfahrung! Für mich war das ein Triumph über mich selbst! Meine Angst, etwas vor anderen Menschen sagen zu müssen war deswegen nicht gleich weg, aber nun wusste ich, dass es einen Weg gibt! Ich bin froh, dass ich diesen Schritt gewagt habe! Durch den vielen Zuspruch durfte ich die Erfahrung machen, dass ich geliebt werde.
“Die großen Augenblicke sind die, in denen wir getan haben, was wir uns nie zugetraut hätten.”