Ich komme noch einmal zurück, auf den Einzug beim Roitbinder. Das große, gemeinsame Ziel war erreicht. Danach machte sich zum ersten Mal
schleichend eine gewisse Leere in der Beziehung zwischen Ingrid und mir breit. Unsere Gespräche wurden weniger und waren nicht mehr so tiefgehend wie früher.
Ich erinnerte mich daran, als wir in unserer Verliebtheit bis zum Morgengrauen im Auto saßen und gar nicht genug voneinander erfahren konnten. Nun wohnten wir schon einige Jahre beieinander und meinten, einander eh zu kennen. Diese aufkommende Leere zwischen uns füllte ich, indem ich mich am Computer verwirklichte, Ingrid engagierte sich unter anderem bei der Mütterrunde und den Kinderwortgottesdiensten.
Mit der Gegenhuber-Baustelle hatten wir wieder ein neues, gemeinsames Ziel. Doch bei Ingrid ging nun auch viel Zeit für unsere Kinder auf, womit sie trotz meiner vollsten Bewunderung nicht mehr uneingeschränkt für die anstehenden Umbauarbeiten verfügbar war. Dies brachte ganz neue Seiten an mir zum Vorschein, auf die ich nicht stolz bin. Ich fühlte mich ständig unter Druck und war eigentlich immer ärgerlich, wenn ich mit Ingrid allein auf der Baustelle war: „wo bleibst du denn so lange“, „geht es noch umständlicher“, oder ich nahm ihr unsanft und ohne Worte das Werkzeug aus der Hand.
Sobald wir vom Frühstückstisch aufstanden, war ich wie ausgewechselt. Ich war im Laufschritt unterwegs und erwartete mir von Ingrid das gleiche Tempo. Ärger stieg in mir auf, wenn zwischendurch die Kinder etwas von Ingrid brauchten, oder sie kurz weg musste, um den Ofen einzuschalten. Ebenso ärgerte ich mich, wenn Ingrid eine handwerkliche Tätigkeit nicht auf Anhieb so hinbrachte, wie ich es ihr erklärte, oder wenn sie mir das falsche Werkzeug brachte. Das führte zu Spannungen, die Ingrid meistens schluckte, bzw. die Schuld bei sich suchte.
Manchmal führte es aber auch dazu, dass wir tagelang nur noch das Allernötigste miteinander redeten. Abgesehen von den immer wiederkehrenden Schweigephasen, die ich nicht kleinreden möchte und die vor allem mit meinen zu hohen Zielen bei unseren Baustellen in Zusammenhang standen, waren wir schon darauf bedacht, dass es dem anderen gut ging. Streiten konnte man mit Ingrid überhaupt nicht, weil sie sich anpasste, wo es nur ging.
Im allgemeinen waren wir mit unserer Beziehung trotz dieser Abnützungserscheinungen recht zufrieden und sogar ein wenig stolz drauf. D.h. wir haben uns so gut es ging arrangiert und konnten damit leben. Von dem damaligen prickeln war jedoch nicht mehr viel übrig.
“Das Ärgerliche am Ärger ist, dass man sich schadet, ohne anderen zu nützen.”