Daniel, Christian und Michael waren unsere absoluten Wunschkinder. Jeder von unseren tollen Burschen würde ein eigenes Buch füllen, was ich an dieser Stelle ganz bewusst nicht mache. 

So viel sei aber gesagt, unsere drei Jungs hätten unterschiedlicher nicht sein können. Nur in einem waren sie sich sehr ähnlich, sie schliefen als
Kleinkinder sehr wenig. Meistens auch nicht in der Nacht, obwohl es vom einen zum nächsten unserer Kinder jeweils um eine Spur besser wurde.

Daniel hatte mit vier Wochen einen sehr schwer diagnostizierbaren, lebensbedrohlichen Zwerchfellbruch. Es brauchte einige Wunder, um zu überleben. Begonnen hatte es mit starken Blähungen, die ihn speziell in der Nacht sehr unruhig werden ließen. „Das sind die Buben“, versuchte
man uns immer wieder zu beruhigen.

Am 11. Juni 1992 schrie Daniel nach dem Trinken an Ingrid‘s Brust los, so laut er konnte. Er schrie und weinte, bis er erschöpft
einschlief. Doch eine Viertelstunde später fing er wieder an zu schreien. Er schrie und schrie, obwohl er keine Stimme mehr hatte. Wir waren aufgewühlt und äußerst beunruhigt. Eigentlich waren wir sonst bei einem Kinderarzt in Gmunden, aber es schien jetzt um etwas wirklich Dramatisches zu gehen. Also rief ich meinen Großcousin Alois Gruber an, der Kinderarzt in Grieskirchen war und einen ausgezeichneten Ruf hatte. Diese Idee war vielleicht schon die erste lebensrettende Fügung in einer langen Kette von Ereignissen, in der jedes einzelne zum Tod von Daniel führen hätte können.

Wir konnten sofort in die Ordniation von Lois kommen. Lois nahm Daniel etwas Blut ab und stellte sehr hohe Entzündungswerte fest, worauf Daniel ein Medikament verabreicht wurde. Lois sah die Sorge in unseren Gesichtern und schickte uns darauf hin nicht heim, sondern meinte: „ihr könntet doch eure Eltern in Taufkirchen besuchen und am Nachmittag noch einmal vorbei schauen. Dann müssten die Entzündungswerte auf jeden Fall schon besser sein“. Die Entzündungswerte waren am Nachmittag aber auch nicht besser –im Gegenteil. Darauf hin wies Lois Ingrid mit Daniel ins Krankenhaus Grieskirchen ein, wo er Primar der Kinderstation war.

Um 19 Uhr fuhr ich aufgewühlt nach Hause, um die Tauffeier abzusagen, die am darauffolgenden Tag stattfinden sollte. Um 23 Uhr klingelte das Telefon – das konnte nur Ingrid sein. „So spät, das ist kein gutes Zeichen“, dachte ich mir. Was sie mir nun erzählte, war für mich der reinste Schock und es zog mir den Boden unter den Füßen weg. Eigentlich dachte ich, sie wären im Krankenhaus in Grieskirchen, aber Ingrid rief aus Linz an: „Ich bin in Linz, Daniel ist im OP und ich weiß nicht, ob er es überleben wird“, schluchzte sie. Während Ingrid mir von den dramatischen Szenen erzählte, die sich in der Zwischenzeit ereigneten war es, als würde es mir das Herz herausreißen: „Vier Ärzte standen um Daniel herum. Er war kreidebleich und total regungslos. Keiner wusste, was sie mit seinem verwirrenden Röntgenbild anfangen sollten. Eine Schwestern-Schülerin hatte dann die Idee, „sollten wir den Primar anrufen?“. „Das hat keinen Sinn, der ist in seinem Urlaub nie erreichbar, aber probieren könnt ihr es ja.“ Dr. Engels war dennoch innerhalb von 10 Minuten da, sah das Röntgenbild, schnappte sich Daniel und eilte mit ihm in den OP mit den Worten „worauf wartet ihr, das Kind stirbt euch ja unter den Händen weg“.

Ich war wie ausgeschaltet und weinte nur noch wie ein kleines Häufchen Elend, als Ingrid mir das erzählte. Nun konnten wir nur noch warten und beten, dass Daniel diese OP überleben wird. Während ich das schreibe, kommen diese Gefühle alle wieder hoch und ich bin kaum in der Lage weiter zu schreiben. Ich musste mit irgend jemanden reden, also klingelte ich meine Eltern aus dem Bett. Ich hatte fürchterliche Angst. Draußen ging der Wind und es regnete in Strömen. Jedes Geräusch nahm ich auf. Ich wartete auf ein Zeichen Gottes und hoffte, dass es nicht gegen uns ist. Schließlich durchfuhr mich der Schrei eines Tieres von draußen. In meinem Kopf der Schrei eines Kindes. Ich wollte beten, konnte aber nur weinen. Schließlich nahm ich die Bibel und las im Buch Daniel. Ich dachte, „wenn du so stark bist, wie der Daniel, der dein Schutzpatron ist, dann hast du gute Chancen“. Dennoch, ich war total fertig. Dann noch die Gedanken dazu, wie es Ingrid gehen musste…

Um 0’45 Uhr ging ich zum Telefon, als Ingrid wieder anrief. Die Operation war vorbei, doch war nicht gewiss, ob Daniel überlebt. Ich wollte Ingrid nicht mehr länger alleine lassen und auch ich wollte keine Minute länger mehr alleine sein, als unbedingt nötig. Selber war ich nicht fähig mit dem Auto zu fahren, so ausgeschaltet und durch den Wind, wie ich war. Also bat ich Hans, den Bruder von Ingrid, der mich in der Morgendämmerung ins Kinderkrankenhaus nach Linz chauffierte, um Ingrid abzuholen. An Schlaf war ohnehin nicht zu denken, also fuhren wir gleich am nächsten Vormittag wieder nach Linz. Daniel lag an vielen Schläuchen auf der Intensivstation und es hieß für die nächsten 10-14 Tage, absolute Lebensgefahr. Ingrid und ich besuchten Daniel jeden Tag, obwohl wir ihn anfangs nicht einmal aus seinem Bett nehmen durften. Tagelang riefen wir Tag und Nacht alle 1-2 Stunden auf der Intensivstation an, um uns nach unserem Kind zu erkundigen. In höchster Anspannung vor jedem einzelnen Telefonat hieß es immer nur, „er atmet“.

Es war die schrecklichste Zeit in meinem Leben. So schräg sich das aber anhören mag, es war auch eine sehr gesegnete Zeit. Nach ein paar Tagen ging uns nicht zuletzt wegen des Schlafmangels die Kraft aus. Wir hatten nichts mehr unter Kontrolle und waren nur noch ein Häufchen Elend. Das veränderte auch unser Gebet: „Herr, dein Wille geschehe, wir geben Daniel frei, was immer dann passieren wird.“ Offen gestanden, blieb uns am Ende unserer Kräfte auch gar nichts anderes mehr übrig. Dennoch war es eine sehr tiefe Gotteserfahrung. Ab diesem Zeitpunkt ging es mit Daniel steil bergauf und wir konnten ihn zu unserer Überraschung bereits am dreizehnten Tag mit nach Hause nehmen. Es war ebenfalls eine sehr tiefgehende Erfahrung, was es heißt in solchen Zeiten Familie und Freunde zu haben. Wir fühlten uns von sehr vielen Menschen getragen und begleitet, wofür ich heute noch dankbar bin.

Daniel schlief im ersten Jahr bei Nacht kaum länger als eine Stunde durch, im zweiten Jahr wurde es nur langsam besser. Wir schrieben das seiner Krankheit zu. Für Ingrid war das mehr als herausfordernd. Ich würde sagen, sie brachte in ihrer großen Liebe unmenschliche Kräfte auf, um diese lange Zeit mit so wenig Schlaf durchzustehen. Ich kann mich jedoch kein einziges Mal daran erinnern, dass sie geklagt hätte. Wir waren einfach nur froh, dass Daniel lebte. Abgesehen von den Schlafproblemen entwickelte er sich ganz normal und ohne bleibende Schäden.

Auch Christian hatte keinen leichten Start. Im vierten Monat Schwanger, bekam Ingrid eine schwere Grippe mit ziemlich starken Hustenkrämpfen. Dabei hatten wir Angst, Christian zu verlieren. Diese Verlustangst übertrug sich auf Christian, wie in seinen ersten Lebensjahren eindeutig feststellbar war. Ingrid konnte nicht einmal alleine auf’s WC gehen, ohne Christian mitzunehmen, weil er total in Panik verfiel, sobald Ingrid außer Sichtweite war. Natürlich gäbe es auch über ihn viel zu erzählen, aber wohl wenig, was uns so intensiv gefordert hat.

Michael hatte einen recht guten Start in sein Leben. Sein größtes Problem war, wie er mit seinen älteren Geschwistern mithalten konnte. Dafür tat er wirklich alles! Er löste gemeinsam mit Christian die Mathematikaufgaben der ersten Klasse, obwohl er noch im Kindergarten war. Oder, er ging mit uns als Familie schon mit 5 Jahren auf den Warscheneck. Wir gingen von Vorderstoder auf die Zellerhütte, wo wir nächtigten (760 Hm), in der Früh auf den Warscheneck (848 Hm) und anschließend zurück ins Tal (1608Hm). Das alles, ohne ihn nur einen Meter getragen zu haben.
Etwas später wollte Michael Profifußballer werden. Meine Begeisterung dafür hielt sich in Grenzen. So konnte ich ihm in seiner Jugend in diesem für ihn sehr wichtigen Bereich nicht der Vater sein, den er sich wünschte. 

Heute wird mir immer wieder sehr viel durch unsere Enkelkinder bewusst, was wir bei der Erziehung unserer Kinder falsch gemacht haben. Da fragte ich mich zum Beispiel, ob es wirklich die Lernkurve von Johanna verbessert, wenn ich sie schimpfe, weil sie in ihrer quirligen Art schon wieder die Milch am Tisch verschüttet hat? Ich behaupte NEIN. Außerdem will ich ihr ihre quirlige, sprühende Art nicht abgewöhnen. Heute wische ich einfach weg, früher habe ich zumindest die Augen verdreht und tief geseufzt, was bei unseren Kindern so ankommen hätte können wie „bist du immer noch zu dumm, um das zu checken?“ Wenn ich daran denke, tut mir das heute noch leid. Ingrid glich da übrigens sehr viel aus. Sie war eine Löwenmutter im allerbesten Sinne, hat meine Reaktionen aber nie direkt vor den Kindern in Frage gestellt. Trotzdem waren unsere Jungs eines der ganz wenigen Themen, wo sie mir im anschließenden Gespräch liebevoll, aber bestimmt entgegenhielt, wenn ich wieder einmal zu gereizt war. Mit der Zeit durfte ich lernen, auf ihre Intuition zu vertrauen und meine schnelle Gereiztheit weniger wichtig zu nehmen.

Heute bin ich jedenfalls sehr stolz auf unsere drei, sehr unterschiedlichen Söhne! Ich empfinde es als ausgesprochenes Privileg, dass wir mit unseren Kindern sehr offen reden können, über weite Strecken viel Kontakt haben und uns trotz ihres Erwachsenenalters inklusive ihrer Partnerinnen und unserer Enkelkinder als Familie fühlen dürfen. Meine Rolle sehe ich dabei ähnlich, wie sie mein Papa gelebt hat. Ich möchte unseren Kindern vor allem Sicherheit geben und ihnen gemeinsam mit Ingrid ein Netz bieten, in dem sie gegebenenfalls nicht allzu weit fallen können. Alles andere liegt ja ohnehin in ihren eigenen und in Gottes Händen. Ich bin sehr froh, dass alle drei auf ihre individuelle Art und Weise so gut im Leben stehen!