Nach meiner Lehrzeit war ich fast ein Jahr im Mittelspannungs-Leitungsbau. Um Versetzung zur Rayonsleitung Schärding suchte ich an, weil ich näher nach Hause wollte, aber auch weil der Partieführer im Leitungsbau kaum auszuhalten war. Ich kam jedoch vom Regen in die Traufe, als ich anfangs dem Partiestützpunkt Schardenberg zugeordnet wurde. Der Partieführer war ein cholerischer Alkoholiker, mit dem ich mich im Zuge seiner Ausbrüche regelmäßig anlegte. So einem cholerischen Menschen, der noch dazu mein Vorgesetzter war, bin ich ja in der Volksschule schon mal begegnet. Meine jugendliche Seele hat sich da wahrscheinlich irgendwann einmal gesagt, dass ich mir so etwas nie wieder gefallen lasse. Anschreien konnte mich echt keiner mehr ungestraft. Den machte ich sowas von zur Schnecke, als er meinte, er kann mir in seinem Suff einen Fehler umhängen, den ich gar nicht gemacht habe. Noch dazu meinte er, dass ich mit ihm zum Rapport in die Zentrale müsste. Als ich mit ihm fertig war, ist er abgehauen, hat diese Situation nie wieder angesprochen und war von nun an um einiges vorsichtiger mit mir.

Nach ein paar Monaten konnte ich zum Partiestützpunkt Schärding wechseln, wo alles ganz anders war. Diese Partie war für mich fast wie eine Familie. Wir hatten richtig Spaß bei der Arbeit. Wenn wir mit dem Bus zur Baustelle unterwegs waren, wurde die meiste Zeit über irgend etwas gescherzt und gelacht. Der dortige Partieführer, Franz Drexler, hat mich sehr geschätzt und ich konnte auch privat gut mit ihm reden.

Aufgrund meines Umzugs wurde mir bei der Betriebsleitung Gmunden eine Stelle als technischer Zeichner angeboten. Vom Zeichnen hatte ich keine Ahnung, aber das war dem Personalreferenten offensichtlich egal. Solche Elektropläne, wie sie in Kraftwerken verwendet wurden, hab ich noch nie zuvor gesehen. Am ersten Arbeitstag in Gmunden bekam ich von meinem direkten Vorgesetzten eine ganze Reihe Ordner hingestellt, mit den Worten, „die gehören überarbeitet“. Dann ging er wieder. Natürlich versuchte ich, ihm Fragen zu stellen, aber er war nur kurz angebunden und half mir nicht wirklich weiter – als wollte er sagen „du Trottel, wenn du’s nicht kannst, musst du’s halt lernen“. Er ließ mich ganze vier Wochen lang daran arbeiten und schielte im Vorbeigehen nur manchmal auf meinen großen, frei einsehbaren Zeichentisch, bis er dann meinte, „so geht das aber nicht“. Dann knallte er mir einen anderen Ordner auf den Tisch, mit den Worten, „schau dir die mal an“. Das hieß, ich musste von vorne beginnen. Ich war am Boden zerstört.

Trotzdem musste ich da durch. Ich konnte mich ja nicht schon wieder versetzen lassen. Kündigen war für mich auch keine Option. Mit der Zeit
suchte ich mir Kollegen, die mir weiter halfen und ich wuchs so recht und schlecht in die schwierige, neue Materie hinein. Es ging ja nicht nur darum, die Pläne lesen zu können, sondern ich musste zumindest die Grundzüge dieser Kraftwerkssteuerungen verstehen.

Totalen Auftrieb bekam ich, als im Jahr 1991 in der Firma die ersten Computer eingekauft wurden. Der Abteilungsleiter, Hr. Huemer, bekam eines der ersten Geräte. Er schob dieses auf einem Wagerl in unser Großraumbüro herüber und meinte, „ich kann damit nichts anfangen, vielleicht jemand von euch?“. Herbert und ich ließen uns das nicht zweimal sagen. Wir schalteten das Ding ein, studierten einen dicken Stapel an Handbüchern und saßen wochenlang gemeinsam am Computer, bis wir eine kleine Datenbankanwendung für die Planung der Kraftwerksrevisionen erstellt hatten.

Pläne wurden bisher noch mit Tusche gezeichnet. Als mir das unglaubliche Potential so eines neuartigen Computers vor Augen geführt wurde, wollte ich das unbedingt ändern. Ich traute mich jedoch niemanden von meinem Vorhaben zu erzählen, weil ich Angst hatte, dass ich zurückgepfiffen und als Spinner abgetan werden könnte. Dieses Risiko wollte ich auf keinen Fall eingehen. Ich wollte Geschichte schreiben, indem ich der erste in der OKA war, dem es gelingt, Pläne mit dem Computer in viel schnellerer Zeit und besserer Qualität zu zeichnen.

Von wahnsinnigem Ehrgeiz und totaler Faszination getrieben, nahm ich mir am Karfreitag Urlaub und fuhr nach Wels, um mir einen Computer zu kaufen. Ich gab dafür satte 20.000 Schilling aus und installierte die erforderliche Software, die ein befreundeter Freek aufgetrieben hatte. Schon am späten Nachmittag zeichnete ich an diesem riesigen Plan (das Regulierölschema des Kraftwerkes Gmunden), den ich am Dienstag in der Früh fertig haben wollte, um ihn in der Firma zu präsentieren. Ingrid bekam mich an diesem Wochenende nur bei den möglichst kurz gehaltenen Mahlzeiten zu Gesicht. Am Freitag wurde es weit nach Mitternacht und von Samstag bis Montag verbrachte ich auch jeweils 16-18 Stunden am Computer. Spät in der Nacht zum Dienstag wurde ich tatsächlich mit meinem Vorhaben fertig. Mit dem Tuschestift hätte ich dafür mindestens 3 Monate gebraucht.

Voller Vorfreude auf die Reaktion meines Chef’s und der Bürokollegen, druckte ich den in etwa 1m² großen Plan in der Früh im Büro aus und zeigte ihn mit noch dicken Augenringen, etwas nervös, aber mit stolzer Brust, her. Alle waren sprachlos und konnten es zuerst gar nicht fassen, was ich ihnen da zeigte. „was ist das, wie gibt es denn so was?“, „schau dir das an, wie genau das alles ist und jeder Strich gleich dick…“ Mein Plan wurde herumgereicht und nach allen Seiten gedreht, als käme er von einem anderen Stern. „Und das haben Sie alles am Osterwochenende gemacht?“, strahlte mich mein Chef, Hr. Huemer an. Er kam aus dem Staunen und Wundern gar nicht mehr heraus.

Gefühlt war das mein größter beruflicher Erfolg in den 40 Jahren, die ich nun in dieser Firma bin. Mein Engagement und meine Affinität zur EDV gab meinem Stellenwert in der Abteilung gewaltigen Auftrieb. Mit einem Schlag wurde ich anerkannt und geschätzt. Eine Lawine an Veränderungen ist ins Rollen gekommen und ich war von Beginn an dabei. Ich bin dankbar, dass ich diese Pionierzeit so aktiv mitgestalten durfte.

Meine Karriere, als nunmehr Verantwortlicher für die Digitalisierung der Prozesse im Kraftwerksbereich wäre mit meinem bisschen Schulbildung sonst nicht möglich gewesen. Natürlich gab es in den vielen Jahren meines Berufslebens immer wieder einmal schwierige Phasen. Trotzdem kann ich sagen, dass ich zum allergrößten Teil gerne in die Arbeit ging. Ich durfte große IT-Projekte abwickeln, mit denen Kollegen von anderen Energieversorgern damals noch kläglich scheiterten. Immer, wenn die Umsetzung eines Projektes als schwierig oder gar unmöglich eingestuft
wurde, entwickelte ich besonderen Ehrgeiz. Mein Motto war, „geht nicht, gibt’s nicht“. Ich ging dabei nicht selten an meine gesundheitlichen Grenzen. Einmal wurde ich von meinem Chef sogar gemahnt, mir das alles nicht so zu Herzen zu nehmen, als er merkte, wie sehr ich am Limit war. Er meinte, „Herr Steininger, wir brauchen Sie noch länger. Es macht nichts, wenn das alles ein bisschen länger dauert“.

Mit Niederlagen konnte ich in der Firma ebenso wenig umgehen, wie damals bei den Schachturnieren. Meine größte Niederlage war, als ich bei der ersten Schaltberechtigungsprüfung durchfiel. Ich schämte mich mächtig und konnte es nicht verhindern, dass ich unter all den Anzugträgern in Tränen ausbrach. Mein Chef bat mich darauf hin in sein Büro, öffnete die hintere Tür einer großen dunklen Schrankwand, holte eine Flasche Schnaps heraus und schenkte zwei Gläser ein. „Herr Steininger, machen Sie sich nichts draus, da redet bald kein Mensch mehr darüber“, meinte er fast väterlich. Vier Wochen später trat ich noch einmal zu dieser Prüfung an und konnte mit meinem Wissen restlos überzeugen. Dieser eine Satz meines Chefs hilft mir heute noch manchmal, über Misserfolge hinweg zu kommen.

Wenn ich nun auf meine berufliche Laufbahn zurück schaue, dann war ich auch in diesem Bereich häufig von der Angst getrieben, Fehler zu machen oder nicht gut genug zu sein. Trotz meiner Erfolge hielt ich meine Kollegen für viel intelligenter und hatte Angst, mit meinen bescheidenen Fähigkeiten Außenseiter zu sein und nicht wirklich dazu zu gehören. In den letzten zehn Jahren sind viele meiner diesbezüglichen Ängste heil geworden. Durch einige Pensionierungen änderte sich das Klima in meinem gesamten Arbeitsumfeld noch einmal sehr zum Positiven.

Vielleicht war ich eine besonders harte Nuss, aber Wertschätzung heilt tatsächlich, davon bin ich zu tiefst überzeugt! Nicht von heute auf morgen, aber auf Dauer kann sich dieser Wirkung keiner entziehen. Das gilt in der Paarbeziehung genau so wie in der Firma. Mein jetziger Chef, Hr. Rechberger, kann das besonders gut, weil es auch ehrlich rüber kommt. Er traut mir viel zu, verlässt sich auf meine Expertise und es vergeht kaum ein Tag, an dem er seine Wertschätzung nicht ausspricht oder mich diese zumindest spüren lässt. Das hebt meinen Selbstwert, was wiederum zur Folge hat, dass ich kreativer bin, mehr Freude an der Arbeit habe und somit produktiver bin. Ich fühle mich nun wirklich als ein vollwertiges und wichtiges Mitglied im Stab der Geschäftsführung. Auch dass ich jener Mitarbeiter mit der geringsten Schulbildung in dieser Abteilung bin, ist für mich jetzt kein Problem mehr. Vor allem genieße ich das große Vertrauen in meine Arbeit und die Freiheit, mir meine Projekte meistens selber aussuchen zu können.

„Ich habe immer Dinge getan, für die ich noch nicht ganz bereit war.
So wächst man.“