Im Februar 1988 endete meine Lehrzeit. Ich musste mich entscheiden, ob ich wieder ganz nach Taufkirchen ziehe, oder in Gmunden bleibe. Einziges Kriterium für mich war, ob aus Ingrid und mir ein Paar werden könnte. Eigentlich wäre es logisch gewesen, Ingrid zu diesem Zeitpunkt
meine Liebe zu gestehen. Nach dem Gebetskreis in der Kösselmühlgasse wanderte ich mit ihr stundenlang durch die Dunkelheit der Gmundner Altstadt, um zu einer Entscheidung zu kommen. Ingrid und ich wogen alle möglichen Argumente ab, nur worum es wirklich ging, traute ich
mich ihr nicht zu sagen. Ich erhoffte mir zumindest ein inniges „du wirst mir fehlen“, was leider nicht kam.

Traurig und bedrückt über meine Unfähigkeit, Ingrid meine Liebe zu gestehen, ging ich also zurück nach Taufkirchen. „Der Traum mit Ingrid ein
Paar zu werden, ist endgültig zerbrochen“, dachte ich mir. Im Juni 1988 trafen wir uns jedoch unerwartet bei einem christlichen Jugendtreffen,
worauf mir Ingrid einen Brief schrieb, der mich total aufwühlte.

„es hat mir mit dir gestern ganz arg getaugt“,
„ich zehre heute noch von unserem Zusammensein“,
„ich freue mich auf das nächste Treffen“

Dennoch war es eine andere Art von Liebe als die, die ich mir wünschte. Ingrid verkörperte für mich die reine, göttliche Liebe. „Sie schrieb anderen mit Sicherheit genau so schöne Sätze“, dachte ich mir. Umso länger ich sie kannte, umso klarer wurde mir, dass sie für mich unerreichbar war und dass ich Ingrid über die freundschaftliche Ebene hinaus nichts geben konnte. Mir wurde schmerzlich bewusst, dass ich für sie nicht interessant sein konnte.

Im August 1988 trafen wir uns dann bei einem Gottesdienst von Franz Schobesberger in Brunnenthal. Ruth, Sunny und Robert waren mit Ingrid
unterwegs. Gemeinsam machten sie noch einen kurzen Abstecher zu uns nach Hause. Das war nicht ungewöhnlich, weil Ingrid von den Messen ja auch meine Eltern, sowie Fredi und Anneliese kannte. Als unsere Gäste mit Ingrid’s Auto den Heimweg antreten wollten, versagte plötzlich das Getriebe ihres Simca’s. Es ließ sich kein Gang mehr einlegen. Ingrid hatte am nächsten Tag Dienst im Pflegeheim und auch die anderen mussten nach Hause. Die einzige Möglichkeit war, dass ich sie mit Papa’s Opel Ascona, der ausreichend PS hatte, abschleppe. Ingrid fuhr nach 500 Metern schon zum zweiten Mal auf’s Seil, sodass es augenblicklich riss. Sunny erklärte sich bereit, mit Ingrid’s Simca zu fahren und Ingrid kam zu mir nach vorne in den Ascona. Mit knapp 50 km/h bei dunkler Nacht mit Ingrid von Taufkirchen nach Gmunden zu fahren, entfachte meine schon fast vergessen geglaubten Gefühle wieder voll. Wir hatten unendlich viel zu reden und ich genoß die Zweisamkeit mit Ingrid total. Als wir gegen 4 Uhr früh bei Ingrid zu Hause ankamen, war ich so müde, dass ich vor der Rückfahrt ein paar Stunden schlafen musste. Ingrid richtete mir auf dem Boden, unmittelbar neben ihrem Bett einen Schlafplatz. Ich weinte mehr, als ich schlief, weil ich wieder eine Gelegenheit verpasste, Ingrid meine Liebe zu gestehen. Es waren Tränen der Verzweiflung, von denen Ingrid nichts mitbekam. Am nächsten Morgen startete Ingrid ihr Auto, um nochmals zu prüfen, ob sich tatsächlich kein Gang einlegen lies. Wie durch ein Wunder funktionierte das Auto wieder einwandfrei. Es musste hinterher schon etwas repariert werden, aber dass es genau zu diesem Zeitpunkt streikte und anschließend wieder fahrtüchtig war, gab mir echt zu denken und Hoffnung, dass doch noch etwas aus uns werden könnte. Schließlich gab es ja auch so etwas wie Vorsehung 🙂

Der nächste Brief von Ingrid kam Anfang September 1988. Darin war eine Einladung zu einer Heubodenparty mit allen ihren Gebetskreis- u. Seminarfreunden enthalten. Wir waren um die 15 Leute und platzierten uns nach gemeinsamer Wanderung und Grillen mit unseren Schlafsäcken am Heuboden. Irgendwie gelang es mir, meinen Schlafsack unauffällig neben Ingrid zu platzieren. Bis 4 Uhr früh wurde an allen Ecken und Enden des Heubodens geblödelt und gelacht, obwohl andere schlafen wollten. Nun war ich endlich so weit: „Du Ingi, ich muss dir ganz was Wichtiges sagen“. Im selben Moment schrie Sepp von ganz hinten genervt nach vor: „Jetzt haltet endlich mal die Klappe, ich will schlafen“. Und wieder war die Chance dahin, Ingrid meine Liebe zu gestehen. Vielleicht hatte der Aufschrei von Sepp aber auch einen ganz anderen Grund. Er hätte es sich nämlich auch auf Ingrid gestanden, wie sich später herausstellte.

Unser Briefverkehr wurde nach dieser Party wesentlich intensiver. Ich zitiere aus Ingrid’s Briefen:

  • „Immer mehr darf ich erkennen, welch ein Segen es ist, Dich kennen zu dürfen“
  • „So, und wenn Du nichts dagegen hast, werde ich Dir nun ein Kompliment machen: Mir taugt Deine so herzliche Einfachheit; deine Art,
    wie Du mit Menschen umgehst; und ich freu mich ganz arg, dass Du ein echter Jünger Jesu sein willst, mit allem Ernst und mit Konsequenz. Du bist einfach super!“
  • „Du gehörst zu den Menschen, die diese Erde lebenswert machen“
  • „Danke für die Zeit, die ich mit dir verbringen durfte“
  • „es tut so gut zu wissen, dass es jemanden gibt, den man mag, dem man vertrauen kann – auch, wenn dieser weit weg ist. Danke! Und trotzdem ist
    nur der Gedanke daran wie ein Stückerl Heimat und ich spüre Wärme in mir.“

Trotzdem wusste ich, dass diese Zeilen von Ingrid immer noch rein freundschaftlich gemeint waren. Aus gesundheitlichen Gründen musste Ingrid ihren Beruf im Pflegeheim aufgeben. Kurzfristig und überraschend teilte ihr das Arbeitsamt einen Saisonarbeitsplatz in St. Anton am Arlberg als Zimmermädchen zu. Ingrid wollte sich am Vortag noch von einigen ihrer Freunde aus Schärding verabschieden. Sie war bei Franz Schobesberger, Rosi Dobelhammer und anderen. Mich besuchte sie als letztes. Wir machten einen ausgiebigen Spaziergang in eisiger Kälte. Das gab uns die Gelegenheit, uns gegenseitig die Hand in meiner Jackentasche zu wärmen. Nervös und nur halblaut sagte ich ihr, „du wirst mir fehlen“. Aber es half ja nichts. „Wie soll das weitergehen? Wir sind für die nächsten 4 Monate 340 km voneinander entfernt und womöglich bleibt sie dann für immer in St. Anton. Jetzt ist es wohl endgültig vorbei“, dachte ich traurig.

„Was du liebst, lasse frei.
Kommt es zurück, will es bei dir bleiben.“