Meine Eltern waren und sind immer noch sehr christlich. Fredi und Anneliese nahmen bereits an so einem Jugendseminar von Franz Schobesberger teil. Ich war damals 14 Jahre alt und meine Gefühle und mein daraus resultierendes Verhalten war in unterschiedlichen Umgebungen sehr gegensätzlich. Im Schachverein war ich gut verankert und auch in der Schule hatte ich Freunde. Da gab es immer etwas zu scherzen und zu lachen. Lange Zeit war ich sogar so etwas wie der Klassenkasperl. Diese Rolle genoss ich sehr – insbesondere in Physik, als ich die Versuche des Lehrers häufig in Frage stellte und dann der große Star war, wenn’s tatsächlich nicht klappte. Z.B. riss ich mit meinen Verbündeten die Vakuumkugel auseinander, was angeblich nicht einmal zwei Pferde schaffen sollten und physikalisch unmöglich war. Dass die Dichtung defekt gewesen sein musste, war dabei Nebensache.
Daheim kapselte ich mich mehr und mehr ab. Obwohl ich darunter litt, konnte ich es nicht ändern. Der Satz von meiner Mutter, „sei doch nicht so verdrossen“, drückte mir eher einen Stempel auf, als dass er mir half. Ich schaffte es zu Hause einfach nicht, so zu sein, wie ich wirklich wollte.
Mein Komplex den Mädchen gegenüber, die ich nur aus sicherer Entfernung anhimmeln konnte, machte es auch schwer für mich. Als Fredi und Anneliese total begeistert und verwandelt von ihrem ersten Glaubens Seminar nach Hause kamen, wollten meine Eltern mich auch zur Teilnahme überreden. Begeistert war ich nicht, aber abzulehnen war auch keine Option.
Die Vorträge von Franz waren nicht uninteressant. Unter den vielen Jugendlichen fühlte ich mich jedoch wie ein Außerirdischer. Ich hatte ja das Problem mit dem Stottern, wenn ich mich unsicher fühlte. Deshalb waren die Gruppenphasen für mich der blanke Horror. Ich bekam keinen einzigen geraden Satz heraus und bekam von dem, was die anderen berichteten, keine Silbe mit. Während ich vor Angst, etwas sagen zu müssen, völlig ausgeschaltet war, versuchte ich, mir einen einzigen Satz einzuprägen und innerlich immer wieder zu wiederholen, bis ich an der Reihe war.
In der Freizeit zwischen den Vorträgen und Gruppenphasen ging es mir ähnlich. Die überschwängliche Begeisterung beim Singen mit erhobenen Händen und freudigen Gesichtern, die bei einem Mädchen sogar in einen Trancezustand mündeten, konnte ich nicht nachvollziehen. Nachdem
aber die meisten so begeistert waren, fühlte ich mich wieder einmal falsch und fehl am Platz. Ich wollte meine Verklemmtheit ja überwinden, sah aber keine Chance dazu. Nach außen hin machte ich mit, um nicht allzu sehr aufzufallen. Ich hielt mich so gut es ging am Rand und sehnte mich danach, dass diese Seminarwoche endlich vorüber war.
Die Hoffnung meiner Eltern, dass ich genauso begeistert nach Hause kommen würde, wie meine älteren Geschwister, konnte ich nicht erfüllen. Doch einen kleinen Lichtblick gab es unter den vielen Jugendlichen. Ein Mädchen mit einem blauen Kleid und langen Zöpfen ist mir aufgefallen. Sie schien auch begeistert von dem Seminar zu sein, aber auf einer anderen, viel tieferen Ebene. Sie wirkte auf mich viel geerdeter als alle anderen und mehr nach innen orientiert. Sie hatte für mich etwas Anziehendes, wenngleich ich auch nicht sagen konnte, dass ich in sie verliebt war. Wir wechselten kein einziges Wort miteinander und ich kann mich nicht erinnern, irgendwo direkt an ihr vorbeigelaufen zu sein. Ohne zu wissen was es genau war, verband mich etwas mit ihr, was sich erst viel später herausstellen sollte.
Ein Jahr darauf war in Stadl das nächste Jugendseminar mit rund 50 Jugendlichen geplant. Meine Eltern nötigten mich wiederum hinzufahren. Vermutlich wegen ihrer christlichen Überzeugung und der Hoffnung, dass ich darin ebenso wie meine älteren Geschwister, mein Glück finden könnte. Brav ließ ich mich wieder zur Teilnahme überreden und konnte mich diesmal auch schon eine Spur mehr begeistern.
Beim dritten Anlauf war alles anders! Diesmal wurde ich wesentlich offener und fand wirklich Halt in meinem Glauben. Die Liebe Jesu war ab diesem Zeitpunkt ein totales Vorbild für mich, welches ich auch leben wollte. Ich war plötzlich voller Tatendrang, wollte die Welt verbessern, für andere Menschen da sein, vielleicht sogar auf Entwicklungshilfe gehen.
Eine echte Wende in meinem Leben wurde eingeleitet. Auslöser für diese Wende war Erika, ein Mädchen meines Alters. Ich kam mit ihr bei diesem Seminar ins Gespräch und habe mich zum ersten Mal in meinem Leben von einem Mädchen angenommen und verstanden gefühlt. Erika hatte schönes, braunes, langes, gewelltes Haar, eine gute Figur und war unaufdringlich. Zum ersten mal war ich so richtig verliebt. Und ich hatte zum ersten mal das Gefühl, dass ich wirklich dazu gehöre.
Als ich wieder zu Hause war, suchte ich mir Erika‘s Telefonnummer aus der Adressenliste heraus. Ich saß tagelang vor dem Telefon und überlegte, ob ich sie anrufen könnte. Die Angst, abgewiesen und vielleicht sogar belächelt zu werden, war allerdings viel stärker, als mein Mut. „Warum sollte dieses liebe und schöne Mädchen gerade mich wollen? Unmöglich!“, dachte ich mir, also ließ ich es sein.
Beim Schreiben denke ich mir nun, „vielleicht sollte ich sie aufspüren, nur um ihr zu sagen, dass sie es war, die meinem Leben damals eine ganz neue Richtung gab.“ Sie war ein Engel, der einfach da war, den ich aber nie wieder sah oder hörte.
Es folgten weitere Seminare, Silvester- und Pfingsttreffen. Die Gruppenphasen waren für mich immer noch anstrengend, aber in meiner sonstigen, immer stärker werdenden Begeisterung, konnte ich damit gut leben. Am Ende der Seminare mit Franz Schobesberger stand immer ein ganz besonderes Ritual – die sogenannte Lebensübergabe. Gemeint war damit, sich bewusst dafür zu entscheiden, sich von der Liebe Jesu führen zu lassen.
Dieses Ritual war freiwillig. Als der Zeitpunkt kam, war ich mir ganz sicher, dass das eine Bereicherung für mein Leben war. Und irgendwie war es auch ein sichtbares Zeichen, in eine Gemeinschaft liebender Menschen aufgenommen zu werden. Jesus ist tatsächlich zu meinem ständigen Begleiter geworden. In diesem Gedanken fühlte ich mich viel sicherer als früher und gewann nach und nach etwas mehr Selbstvertrauen. Mein Leben bekam eine Richtung und ich konnte dadurch mein eigenes Profil entwickeln.
Heute bin ich froh, dass mich meine Eltern so lange anstupsten, bis auch bei mir der sprichwörtliche Knopf aufging. Bei einem weiteren Seminar in Losensteinleiten traf ich wieder dieses faszinierende, geerdete Mädchen mit dem schönen blauen Kleid und den langen, geflochtenen Zöpfen, aber das ist eine andere Geschichte.
“Wer glücklich sein will,
muss bereit sein sich zu verändern.”