Mit Beginn der Hauptschule machte ich einen spürbaren Reifeschritt in vielerlei Hinsicht. Ausgangspunkt war das Freifach Schach, mit Direktor Scheurecker. Schnell begannen wir, auch in den Pausen zu spielen, wodurch ich meine ersten richtigen Freunde gewann. Es dauerte nicht lange, bis die Hälfte der Buben in den Pausen Schach spielten. Ich zählte zu den besten und durfte beim Mannschaftsbewerb der Schüler-Landesmeisterschaft teilnehmen. Kaum zu glauben, aber wir wurden Vizelandesmeister! Wir wurden geehrt, uns wurden Medaillen umgehängt, der Pokal wurde in der Vitrine neben dem Konferenzzimmer ausgestellt. Die ganze Schule wusste, wer diesen Pokal
gewann!

Meine neuen Freunde und der Erfolg beim Schachspielen verbesserte mein Selbstbewusstsein erheblich. Beim Schachspielen hatten wir jede Menge Spaß und so ergab es sich, dass ich schließlich in der Clique war, die den Ton in unserer Klasse angab. Auf einmal war ich jemand und wurde sogar auf die eine oder andere Geburtstagsfeier eingeladen. Die Tyrannen aus der Volksschulzeit wurden im B-Zug abgestellt und unterschiedliche Lehrer zu haben war ebenfalls ein Segen, wodurch der Unterricht nicht mehr den ganzen Tag die selbe Leier hatte.

Überhaupt hatte ich mit meinen Hauptschullehrerinnen großes Glück. Allen voran Frau Ennsfellner – sie mochte die ihnen anvertrauten Kinder wirklich. Z.B. gab es Vollkornbrot damals nur im Reformhaus zu kaufen und galt unter Vordenkern als das Wundermittel schlechthin. Frau Ennsfellner brachte mir ein ganzes Kilo in die Schule mit, weil sie der Meinung war, dass diese Art von Ernährung gegen meine vielen Pickeln helfen könnte. In „Geometrisch Zeichnen“ wurde natürlich viel geschwätzt. Unter anderem über das, was in den Bravo-Heftchen zu lesen war. Frau Ennsfellner griff diese Gespräche verständnisvoll auf und verstand es, die ganze Klasse einzubinden. Einige male sagte sie sogar, „räumt eure Zeichnungen weg, wir setzen uns in den Kreis und reden darüber“. Wir hatten Frau Ennsfellner auch in Mathematik. Bei ihr lernten wir viel, wir liebten sie aber vor allem, weil wir mit ihr über Dinge reden konnten, die wir uns mit unseren Eltern nicht zu reden getraut hätten.

In dieser neuen Umgebung schrieb ich plötzlich sogar Aufsätze, die sich echt sehen lassen konnten. Manchmal stand da sogar ein verdienter Zweier im Zeugnis. Ab der dritten Klasse gab es dann noch einen weiteren Pausensport. Wir maßen uns darin, wer auf der Schreibmaschine in drei Minuten die meisten Anschläge tippen konnte. Meine Spitzenleistung auf der damals noch mechanischen Maschine und den Übungssätzen lag bei sagenhaften 320 Anschlägen pro Minute. Damit war ich klar die Nummer eins. Nur mein Freund Hasi konnte es nicht glauben und forderte mich fast täglich heraus, womit ich meinen ersten Rang immer wieder bestätigen konnte.

Es gab nun zumindest ein paar Bereiche, in denen ich mich nicht mehr als Außenseiter fühlte und wo ich mitreden konnte. Körperlich war ich den meisten Jungs in meiner Klasse jedoch unterlegen. Raufereien vermied ich aus diesem Grund ganz bewusst. Reinhard galt als drittstärkster in meiner Klasse. Er war beim Turnverein und für mich eigentlich unbezwingbar. Einmal fühlte er sich von mir wegen irgend einer Kleinigkeit provoziert und wollte mich mit dem Kopf unter die Wasserleitung halten. Doch diesmal nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und ließ mir das nicht gefallen. In meinem Zorn entfesselte ich Kräfte, von denen ich nicht wusste, dass ich sie hatte. Meinen Kopf brachte er nicht unter die Wasserleitung und der Kampf gegen Reinhard endete mit einem Unentschieden. Für meinen Selbstwert war das ein Sieg auf ganzer Linie und ab diesem Zeitpunkt war ich sein bester Freund.