In der dritten und vierten Klasse hatten wir die sehr strenge Frau Hirner. Sie war ungewohnt ruhig, um nicht zu sagen monoton und einschläfernd. Angst musste man vor ihr nicht haben, höchstens vor ihren Noten. In Mathematik war ich leicht unter dem Durchschnitt, in Deutsch und im Lesen war ich damals noch unterirdisch schlecht. Meine Aufsätze, mit denen ich bei der Abgabe noch recht zufrieden war, endeten bestenfalls mit einem Genügend, was aufgrund meiner vielen Rechtschreibfehler meistens noch geschmeichelt war. Die mit rotem Stift korrigierten Aufsätze sehe ich noch so klar vor mir, dass es mir bei dem vielen rot heute noch unerklärlich ist, warum im Zeugnis letzten Endes ein Befriedigend stand. Es hatte wohl damit zu tun, dass Mama und Frau Hirner gemeinsam im Kirchenchor waren.
Die eigentliche Herausforderung in der dritten und vierten Klasse waren die älteren, sitzen gebliebenen Schüler. Karli tyrannisierte alle! Reißnägel unterlegen, bevor man sich hinsetzen konnte, war da noch das Harmloseste. Er ging in der Pause durch die Klasse und rannte jedem der ihm über den Weg lief, die Spitze seines Zirkels in den Hintern. Er zettelte fast täglich eine Rauferei an, wo er als der Älteste natürlich als Sieger hervorging. Es verging kaum ein Tag, an dem er nicht irgend jemandem meiner Klassenkameraden einen Magenboxer verpasste.
Auch in diesen beiden Jahren habe ich gelernt und weiter perfektioniert, wie man sich am besten unbemerkt macht. Meine Strategie war: „Nur ja nicht auffallen“, weder im Unterricht und schon gar nicht in den Pausen. Jene Mitschüler, die in der Bande von Karli sein wollten, tyrannisierte er noch mehr als alle anderen, was mich in meiner Strategie bestätigte: „Möglichst weit weg bleiben, Karli auf keinen Fall ansprechen, Augenkontakt vermeiden, mit dem Blick zum Boden durch die Klasse gehen“. Im Großen und Ganzen funktionierte das recht gut.
Die Angst davor, etwas Falsches zu sagen, brannte sich trotzdem in mir ein, wie ein schmerzender Stachel, den ich über Jahrzehnte nicht entfernen konnte. Immer dann, wenn ich mich in meiner Umgebung nicht hundert prozentig sicher fühlte, stotterte ich und brachte keinen geraden Satz über meine Lippen. Diesen Zusammenhang, entdeckte ich aber erst viel später. Schulfreunde hatte ich damals kaum. Nur mit Robert, meinem Sitznachbarn, traf ich mich ab und zu. Wir standen beide irgendwie am Rand und waren deshalb froh, uns als Freunde bezeichnen zu können. Ich erinnere mich allerdings nur mehr daran, wie lang so ein Nachmittag sein konnte, wenn ich ihn im Nachbardorf besuchte.
“Oft muss man stark sein,
wenn man etwas verändern möchte.
Aber noch stärker muss man sein,
wenn man akzeptieren muss, wie es ist,
oder warten muss, bis es vorüber ist.”