09_Die Jugend-Glaubensseminare in Stadl

Meine Eltern waren und sind immer noch sehr christlich. Fredi und Anneliese nahmen bereits an so einem Jugendseminar von Franz Schobesberger teil. Ich war damals 14 Jahre alt und meine Gefühle und mein daraus resultierendes Verhalten war in unterschiedlichen Umgebungen sehr gegensätzlich. Im Schachverein war ich gut verankert und auch in der Schule hatte ich Freunde. Da gab es immer etwas zu scherzen und zu lachen. Lange Zeit war ich sogar so etwas wie der Klassenkasperl. Diese Rolle genoss ich sehr – insbesondere in Physik, als ich die Versuche des Lehrers häufig in Frage stellte und dann der große Star war, wenn’s tatsächlich nicht klappte. Z.B. riss ich mit meinen Verbündeten die Vakuumkugel auseinander, was angeblich nicht einmal zwei Pferde schaffen sollten und physikalisch unmöglich war. Dass die Dichtung defekt gewesen sein musste, war dabei Nebensache.

Daheim kapselte ich mich mehr und mehr ab. Obwohl ich darunter litt, konnte ich es nicht ändern. Der Satz von meiner Mutter, „sei doch nicht so verdrossen“, drückte mir eher einen Stempel auf, als dass er mir half. Ich schaffte es zu Hause einfach nicht, so zu sein, wie ich wirklich wollte.

Mein Komplex den Mädchen gegenüber, die ich nur aus sicherer Entfernung anhimmeln konnte, machte es auch schwer für mich. Als Fredi und Anneliese total begeistert und verwandelt von ihrem ersten Glaubens Seminar nach Hause kamen, wollten meine Eltern mich auch zur Teilnahme überreden. Begeistert war ich nicht, aber abzulehnen war auch keine Option.

Die Vorträge von Franz waren nicht uninteressant. Unter den vielen Jugendlichen fühlte ich mich jedoch wie ein Außerirdischer. Ich hatte ja das Problem mit dem Stottern, wenn ich mich unsicher fühlte. Deshalb waren die Gruppenphasen für mich der blanke Horror. Ich bekam keinen einzigen geraden Satz heraus und bekam von dem, was die anderen berichteten, keine Silbe mit. Während ich vor Angst, etwas sagen zu müssen, völlig ausgeschaltet war, versuchte ich, mir einen einzigen Satz einzuprägen und innerlich immer wieder zu wiederholen, bis ich an der Reihe war.

In der Freizeit zwischen den Vorträgen und Gruppenphasen ging es mir ähnlich. Die überschwängliche Begeisterung beim Singen mit erhobenen Händen und freudigen Gesichtern, die bei einem Mädchen sogar in einen Trancezustand mündeten, konnte ich nicht nachvollziehen. Nachdem
aber die meisten so begeistert waren, fühlte ich mich wieder einmal falsch und fehl am Platz. Ich wollte meine Verklemmtheit ja überwinden, sah aber keine Chance dazu. Nach außen hin machte ich mit, um nicht allzu sehr aufzufallen. Ich hielt mich so gut es ging am Rand und sehnte mich danach, dass diese Seminarwoche endlich vorüber war.

Die Hoffnung meiner Eltern, dass ich genauso begeistert nach Hause kommen würde, wie meine älteren Geschwister, konnte ich nicht erfüllen. Doch einen kleinen Lichtblick gab es unter den vielen Jugendlichen. Ein Mädchen mit einem blauen Kleid und langen Zöpfen ist mir aufgefallen. Sie schien auch begeistert von dem Seminar zu sein, aber auf einer anderen, viel tieferen Ebene. Sie wirkte auf mich viel geerdeter als alle anderen und mehr nach innen orientiert. Sie hatte für mich etwas Anziehendes, wenngleich ich auch nicht sagen konnte, dass ich in sie verliebt war. Wir wechselten kein einziges Wort miteinander und ich kann mich nicht erinnern, irgendwo direkt an ihr vorbeigelaufen zu sein. Ohne zu wissen was es genau war, verband mich etwas mit ihr, was sich erst viel später herausstellen sollte.

Ein Jahr darauf war in Stadl das nächste Jugendseminar mit rund 50 Jugendlichen geplant. Meine Eltern nötigten mich wiederum hinzufahren. Vermutlich wegen ihrer christlichen Überzeugung und der Hoffnung, dass ich darin ebenso wie meine älteren Geschwister, mein Glück finden könnte. Brav ließ ich mich wieder zur Teilnahme überreden und konnte mich diesmal auch schon eine Spur mehr begeistern.

Beim dritten Anlauf war alles anders! Diesmal wurde ich wesentlich offener und fand wirklich Halt in meinem Glauben. Die Liebe Jesu war ab diesem Zeitpunkt ein totales Vorbild für mich, welches ich auch leben wollte. Ich war plötzlich voller Tatendrang, wollte die Welt verbessern, für andere Menschen da sein, vielleicht sogar auf Entwicklungshilfe gehen.
Eine echte Wende in meinem Leben wurde eingeleitet. Auslöser für diese Wende war Erika, ein Mädchen meines Alters. Ich kam mit ihr bei diesem Seminar ins Gespräch und habe mich zum ersten Mal in meinem Leben von einem Mädchen angenommen und verstanden gefühlt. Erika hatte schönes, braunes, langes, gewelltes Haar, eine gute Figur und war unaufdringlich. Zum ersten mal war ich so richtig verliebt. Und ich hatte zum ersten mal das Gefühl, dass ich wirklich dazu gehöre.

Als ich wieder zu Hause war, suchte ich mir Erika‘s Telefonnummer aus der Adressenliste heraus. Ich saß tagelang vor dem Telefon und überlegte, ob ich sie anrufen könnte. Die Angst, abgewiesen und vielleicht sogar belächelt zu werden, war allerdings viel stärker, als mein Mut. „Warum sollte dieses liebe und schöne Mädchen gerade mich wollen? Unmöglich!“, dachte ich mir, also ließ ich es sein.

Beim Schreiben denke ich mir nun, „vielleicht sollte ich sie aufspüren, nur um ihr zu sagen, dass sie es war, die meinem Leben damals eine ganz neue Richtung gab.“ Sie war ein Engel, der einfach da war, den ich aber nie wieder sah oder hörte.

Es folgten weitere Seminare, Silvester- und Pfingsttreffen. Die Gruppenphasen waren für mich immer noch anstrengend, aber in meiner sonstigen, immer stärker werdenden Begeisterung, konnte ich damit gut leben. Am Ende der Seminare mit Franz Schobesberger stand immer ein ganz besonderes Ritual – die sogenannte Lebensübergabe. Gemeint war damit, sich bewusst dafür zu entscheiden, sich von der Liebe Jesu führen zu lassen.
Dieses Ritual war freiwillig. Als der Zeitpunkt kam, war ich mir ganz sicher, dass das eine Bereicherung für mein Leben war. Und irgendwie war es auch ein sichtbares Zeichen, in eine Gemeinschaft liebender Menschen aufgenommen zu werden. Jesus ist tatsächlich zu meinem ständigen Begleiter geworden. In diesem Gedanken fühlte ich mich viel sicherer als früher und gewann nach und nach etwas mehr Selbstvertrauen. Mein Leben bekam eine Richtung und ich konnte dadurch mein eigenes Profil entwickeln.

Heute bin ich froh, dass mich meine Eltern so lange anstupsten, bis auch bei mir der sprichwörtliche Knopf aufging. Bei einem weiteren Seminar in Losensteinleiten traf ich wieder dieses faszinierende, geerdete Mädchen mit dem schönen blauen Kleid und den langen, geflochtenen Zöpfen, aber das ist eine andere Geschichte.

“Wer glücklich sein will,
muss bereit sein sich zu verändern.”

07_Der Schachverein

Der Schachverein bot mir die erste Möglichkeit, am Freitag Abend ohne die Aufsicht meiner Eltern weg zu sein. Rudolf Bittner, der Vereinsobmann war für meine Eltern der Garant, dass ich nicht unbemerkt auf die schiefe Bahn geraten konnte. Wenn wir am Sonntag auswärts Meisterschaft spielten, gingen wir mit Rudolf in die Frühmesse, bevor das Turnier begann. Das war die Bedingung meiner Eltern, aber es war auch Rudolf ein Anliegen.

Schulschach und der Schachverein ergänzten sich freundschaftstechnisch perfekt. D.h. meine Jugend war SCHACH in Großbuchstaben. Ich war
gefordert, hatte Erfolge und jede Menge Spaß mit meinen Schachfreunden – zum Beispiel beim Tandemschach. Ich schaffte es zwar nicht an die Spitze, aber das war mir egal. Unter meinen gleichaltrigen Freunden konnte ich sehr gut mithalten und war gefragt. Dass ich jeden Freitag, im Winter bei Dunkelheit, alleine durch ein ziemlich großes Waldstück gehen musste, um zu Fuß ins Vereinslokal zu kommen, nahm ich trotz meiner Ängste gerne in Kauf.

Niederlagen konnte ich beim Schach nicht immer so gut verkraften. Sieben der acht Meisterschaftspartien waren bereits beendet. Nur ich kämpfte nach mehr als fünf Stunden Spielzeit noch ehrgeizig um den Sieg, gegen einen eigentlich weit überlegenen Gegner. Ich war mit zwei Bauern im Vorteil, es sollte also nicht allzu schwierig sein, diese Partie für mich zu entscheiden. Alle anderen Spieler unseres Vereins und auch die der gegnerischen Mannschaft standen um uns herum, analysierten und tuschelten. In jedem ihrer Gesichter und an ihrer Gestik war ablesbar, was sie vom einen oder anderen meiner Züge hielten. Unfähig dieser Belastung standzuhalten, beging ich einen Fehler, der mich die Partie kosten sollte. Als ich den Fehler bemerkte, war ich gelähmt, wie in einem schlechten Film. Das Getuschel um mich herum, das sichtbare Bedauern, die verärgerten Gesichter mancher Vereinskollegen, die Freude der gegnerischen Zuschauer, dieser giftige Gefühlscocktail überwältigte und streckte mich augenblicklich zu Boden. Ich war in diesem Moment nicht mehr Herr meiner Sinne. Die Tränen schossen von einem Moment auf den anderen aus meinen Augen. Ich kam mir vor, als wurde ich vor allen Anwesenden bis auf die Haut ausgezogen und schämte mich fürchterlich. So konnte ich mich auf keinen Fall zeigen. Um der Situation und den weiteren Analysen zu entkommen, schob ich die Figuren auf dem Schachbrett blitzschnell zusammen und rannte zur Tür hinaus. Das war ziemlich unsportlich von mir, aber es ging in diesem Moment nicht anders.

 

“Wer versteht, die Früchte seiner Niederlagen zu ernten,
wird gestärkt aus ihnen hervorgehen.”

02_Dritte u. vierte. Klasse Volksschule

In der dritten und vierten Klasse hatten wir die sehr strenge Frau Hirner. Sie war ungewohnt ruhig, um nicht zu sagen monoton und einschläfernd. Angst musste man vor ihr nicht haben, höchstens vor ihren Noten. In Mathematik war ich leicht unter dem Durchschnitt, in Deutsch und im Lesen war ich damals noch unterirdisch schlecht. Meine Aufsätze, mit denen ich bei der Abgabe noch recht zufrieden war, endeten bestenfalls mit einem Genügend, was aufgrund meiner vielen Rechtschreibfehler meistens noch geschmeichelt war. Die mit rotem Stift korrigierten Aufsätze sehe ich noch so klar vor mir, dass es mir bei dem vielen rot heute noch unerklärlich ist, warum im Zeugnis letzten Endes ein Befriedigend stand. Es hatte wohl damit zu tun, dass Mama und Frau Hirner gemeinsam im Kirchenchor waren.

Die eigentliche Herausforderung in der dritten und vierten Klasse waren die älteren, sitzen gebliebenen Schüler. Karli tyrannisierte alle! Reißnägel unterlegen, bevor man sich hinsetzen konnte, war da noch das Harmloseste. Er ging in der Pause durch die Klasse und rannte jedem der ihm über den Weg lief, die Spitze seines Zirkels in den Hintern. Er zettelte fast täglich eine Rauferei an, wo er als der Älteste natürlich als Sieger hervorging. Es verging kaum ein Tag, an dem er nicht irgend jemandem meiner Klassenkameraden einen Magenboxer verpasste.

Auch in diesen beiden Jahren habe ich gelernt und weiter perfektioniert, wie man sich am besten unbemerkt macht. Meine Strategie war: „Nur ja nicht auffallen“, weder im Unterricht und schon gar nicht in den Pausen. Jene Mitschüler, die in der Bande von Karli sein wollten, tyrannisierte er noch mehr als alle anderen, was mich in meiner Strategie bestätigte: „Möglichst weit weg bleiben, Karli auf keinen Fall ansprechen, Augenkontakt vermeiden, mit dem Blick zum Boden durch die Klasse gehen“. Im Großen und Ganzen funktionierte das recht gut.

Die Angst davor, etwas Falsches zu sagen, brannte sich trotzdem in mir ein, wie ein schmerzender Stachel, den ich über Jahrzehnte nicht entfernen konnte. Immer dann, wenn ich mich in meiner Umgebung nicht hundert prozentig sicher fühlte, stotterte ich und brachte keinen geraden Satz über meine Lippen. Diesen Zusammenhang, entdeckte ich aber erst viel später. Schulfreunde hatte ich damals kaum. Nur mit Robert, meinem Sitznachbarn, traf ich mich ab und zu. Wir standen beide irgendwie am Rand und waren deshalb froh, uns als Freunde bezeichnen zu können. Ich erinnere mich allerdings nur mehr daran, wie lang so ein Nachmittag sein konnte, wenn ich ihn im Nachbardorf besuchte.

“Oft muss man stark sein,
wenn man etwas verändern möchte.
Aber noch stärker muss man sein,
wenn man akzeptieren muss, wie es ist,
oder warten muss, bis es vorüber ist.”

01_Erste und zweite Klasse Volksschule

der Volksschule war ich ein sehr ruhiges Kind. Vielleicht, weil ich mit meinen 4 Geschwistern zum „brav sein“ erzogen wurde. Meine Lehrerin in
den ersten beiden Schuljahren war die gefürchtete Frau Flach. Sie war nicht nur streng, sondern so cholerisch, wie man sich das in der heutigen Zeit weder von einer Lehrkraft, noch von sonst jemandem vorstellen kann, der Menschen führen, geschweige denn Kinder erziehen sollte.

Frau Flach rastete immer wieder einmal total aus, sodass ich wie die meisten anderen Kinder Angst vor ihr hatte. Ich erinnere mich noch gut an diese kleine, alte, verbitterte Frau mit ihren tiefen Falten und ihren stahlblauen Augen, die eindeutig Gefahr bedeuteten, wenn sie in Rage war.
Interessanterweise konnte sie schon auch lachen und herzlich sein. Das heißt, ihre Stimmung wechselte von einer Sekunde auf die andere, ohne jegliche Vorwarnung und manchmal ohne einen für mich erkennbaren Grund. Als sie wieder einmal so einen Ausbruch hatte, der mit meiner Mitschülerin Maria gar nichts zu tun hatte, fing diese ganz leise und geduckt zu weinen an und es dauerte nicht lange, bis sich unter ihrem Sessel eine Pfütze bildete. Wie muss sie sich wohl geschämt haben? Sensibel wie Maria war, war es kein Wunder, dass sie während ihrer gesamten Schulzeit das sich duckende Mauerblümchen blieb.

Für’s Zeichnen hatte ich vielleicht nicht das ganz große Talent, aber diesmal zeichnete ich unseren neuen, orangen Heizofen. Mit Freude dachte ich während des Zeichnens daran, wie ich den Monteuren beim Aufstellen des Ofens zuschauen und zur Hand gehen durfte. Es war für mich immer ein Highlight, wenn sich um Haus und Hof etwas bewegte. Das war einfach meine Welt. Mit inbrünstiger Leidenschaft und Genuss malte ich diesen neuen Heizofen auf meinem A3-Zeichenblock originalgetreu orange an. Meine kindliche Hoffnung war, diesmal einen römischen Einser zu bekommen. Nicht zuletzt wegen der schönen Farbe und weil ich die Ecken wirklich schön ausmalte, war es in meinen Augen die beste Zeichnung, die mir je gelang.
Als wir am übernächsten Schultag die Zeichnungen zurück bekamen, wurde ich kreidebleich. Ich war wie gelähmt und unfähig, irgend einen klaren Gedanken zu fassen. Der orange Heizofen war diagonal über das ganze Blatt mit rotem Kugelschreiber durchgestrichen. Auch wenn das unglaublich erscheint, so meine ich mich daran zu erinnern, dass in der rechten unteren Ecke meiner Zeichnung ein Fünfer stand. Irgendwie gefiel mir meine Zeichnung immer noch sehr gut, aber wie konnte ich mich nur so täuschen?
Mein Gefühl der echten Freude und Zufriedenheit wurde zertrampelt und wandelte sich schlagartig in Traurigkeit, Verunsicherung und Scham. Ich war verwirrt und hatte wieder einmal den Verdacht, dass da irgend etwas mit mir nicht stimmt. „Was habe ich nur falsch gemacht?“
Ich verstand die Welt nicht mehr, hatte aber weder die Chance, noch den Mut mich zu wehren. „Einen orangen Heizofen gibt es nicht“, gab Frau Flach aufgekratzt von sich, als sie die Zeichnungen austeilte. Meinen Eltern erzählte ich davon nichts, obwohl sie dieses Missverständnis aufklären hätten können. Dafür schämte ich mich zu sehr.
In der Hauptschule wurde Zeichnen für viele zum Lieblingsfach, für mich war diese Chance vergeben. Meine Zeichnungen blieben tatsächlich unterirdisch, die Zeichenstunden waren eine Qual und ich hatte seither nie wieder Freude beim Zeichnen. Oder doch, ich freue mich, wenn ich für unsere Enkelkinder eine Mizi (Katze) zeichnen darf, das kann ich nämlich ziemlich gut 😉

Auf Ostern hin durften wir in der zweiten Klasse ausgeblasene Eier mit Wachsmalstiften bemalen. Hubert malte bei einem Ei ein zweites Mal mit einer anderen Farbe drüber. Frau Flach, die diesmal gut gelaunt war, bemerkte dies. Von einer Sekunde auf die andere schlug ihre gute Stimmung in abgrundtiefen Zorn und pure Aggression um. „Du dummer Bub, wie kann man nur so blöd sein!“. Sie attackierte den eigentlich immer ruhigen und braven Hubert diesmal nicht nur verbal, sondern schlug ihm sogar mit der Hand ins Gesicht. Für mich war und ist es heute noch erstaunlich, dass Hubert seinen Plan trotzdem zu Ende brachte. Er kratzte seelenruhig, mit einer Nadel durch die oberste Farbschicht hindurch, ein schönes Muster heraus. Nun hatte er das einzige Ei mit 2 Farben und so einem schönen Muster. Es war bestimmt das schönste Osterei der ganzen Klasse.

Heute frage ich mich, in wie weit mich diese ersten beiden Schuljahre prägten? Bei jedem Laut und bei jedem Fehler drohte Gefahr. „Lieber nichts sagen, als etwas Falsches“, dabei war ja das Richtige (der orange Heizofen oder die schönen Ostereier) auch falsch. Deshalb duckte ich mich und ordnete mich unter wo es nur ging, um ja nicht in Bedrängnis zu kommen. Das hinterließ natürlich Spuren. Die Angst, dass ich etwas Falsches sagen könnte oder vielmehr, dass ich falsch bin, zog sich durch mein halbes Leben. Dennoch empfinde ich heute keinen Groll. Im Rückblick würde ich sagen, dass mich diese Erfahrungen geprägt, aber nicht gebrochen haben. Dafür war ich dann innerlich doch zu stark. Ich wünsche solch schwierige Erfahrungen wirklich keinem Kind, dennoch waren sie für mich Teil meines ganz persönlichen Entwicklungsprozesses. Ich bin heute sogar ein wenig stolz darauf, diese Zeit relativ gut bewältigt zu haben.

“Was uns am meisten herausfordert, lässt uns am meisten wachsen.”

06_Meine Hauptschulzeit

Mit Beginn der Hauptschule machte ich einen spürbaren Reifeschritt in vielerlei Hinsicht. Ausgangspunkt war das Freifach Schach, mit Direktor Scheurecker. Schnell begannen wir, auch in den Pausen zu spielen, wodurch ich meine ersten richtigen Freunde gewann. Es dauerte nicht lange, bis die Hälfte der Buben in den Pausen Schach spielten. Ich zählte zu den besten und durfte beim Mannschaftsbewerb der Schüler-Landesmeisterschaft teilnehmen. Kaum zu glauben, aber wir wurden Vizelandesmeister! Wir wurden geehrt, uns wurden Medaillen umgehängt, der Pokal wurde in der Vitrine neben dem Konferenzzimmer ausgestellt. Die ganze Schule wusste, wer diesen Pokal
gewann!

Meine neuen Freunde und der Erfolg beim Schachspielen verbesserte mein Selbstbewusstsein erheblich. Beim Schachspielen hatten wir jede Menge Spaß und so ergab es sich, dass ich schließlich in der Clique war, die den Ton in unserer Klasse angab. Auf einmal war ich jemand und wurde sogar auf die eine oder andere Geburtstagsfeier eingeladen. Die Tyrannen aus der Volksschulzeit wurden im B-Zug abgestellt und unterschiedliche Lehrer zu haben war ebenfalls ein Segen, wodurch der Unterricht nicht mehr den ganzen Tag die selbe Leier hatte.

Überhaupt hatte ich mit meinen Hauptschullehrerinnen großes Glück. Allen voran Frau Ennsfellner – sie mochte die ihnen anvertrauten Kinder wirklich. Z.B. gab es Vollkornbrot damals nur im Reformhaus zu kaufen und galt unter Vordenkern als das Wundermittel schlechthin. Frau Ennsfellner brachte mir ein ganzes Kilo in die Schule mit, weil sie der Meinung war, dass diese Art von Ernährung gegen meine vielen Pickeln helfen könnte. In „Geometrisch Zeichnen“ wurde natürlich viel geschwätzt. Unter anderem über das, was in den Bravo-Heftchen zu lesen war. Frau Ennsfellner griff diese Gespräche verständnisvoll auf und verstand es, die ganze Klasse einzubinden. Einige male sagte sie sogar, „räumt eure Zeichnungen weg, wir setzen uns in den Kreis und reden darüber“. Wir hatten Frau Ennsfellner auch in Mathematik. Bei ihr lernten wir viel, wir liebten sie aber vor allem, weil wir mit ihr über Dinge reden konnten, die wir uns mit unseren Eltern nicht zu reden getraut hätten.

In dieser neuen Umgebung schrieb ich plötzlich sogar Aufsätze, die sich echt sehen lassen konnten. Manchmal stand da sogar ein verdienter Zweier im Zeugnis. Ab der dritten Klasse gab es dann noch einen weiteren Pausensport. Wir maßen uns darin, wer auf der Schreibmaschine in drei Minuten die meisten Anschläge tippen konnte. Meine Spitzenleistung auf der damals noch mechanischen Maschine und den Übungssätzen lag bei sagenhaften 320 Anschlägen pro Minute. Damit war ich klar die Nummer eins. Nur mein Freund Hasi konnte es nicht glauben und forderte mich fast täglich heraus, womit ich meinen ersten Rang immer wieder bestätigen konnte.

Es gab nun zumindest ein paar Bereiche, in denen ich mich nicht mehr als Außenseiter fühlte und wo ich mitreden konnte. Körperlich war ich den meisten Jungs in meiner Klasse jedoch unterlegen. Raufereien vermied ich aus diesem Grund ganz bewusst. Reinhard galt als drittstärkster in meiner Klasse. Er war beim Turnverein und für mich eigentlich unbezwingbar. Einmal fühlte er sich von mir wegen irgend einer Kleinigkeit provoziert und wollte mich mit dem Kopf unter die Wasserleitung halten. Doch diesmal nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und ließ mir das nicht gefallen. In meinem Zorn entfesselte ich Kräfte, von denen ich nicht wusste, dass ich sie hatte. Meinen Kopf brachte er nicht unter die Wasserleitung und der Kampf gegen Reinhard endete mit einem Unentschieden. Für meinen Selbstwert war das ein Sieg auf ganzer Linie und ab diesem Zeitpunkt war ich sein bester Freund.

05_Meine schönsten Kindheitserinnerungen

Die schönsten Kindheitserinnerungen verbinde ich mit den Ferien in Eggenberg. Ich verbrachte dort viel Zeit am Traktor und half voller Begeisterung mit, wo immer es mir möglich war. Beim Ausmisten, beim Futtergrasen, bei der Heuernte, beim täglichen Kälberfüttern,…
Ich fühlte mich aber auch nicht ausgenutzt, so wie in Randolfing. Da wurde ich nur gebraucht, um die Stroh bei eingeschaltetem Gebläse auseinander zu räumen, wobei ich den ganzen Tag lang Dreck schluckte, brennende Augen und einen rauhen Hals bekam.
Onkel Franz und Oma lobten mich viel für meinen Fleiß und ich verdiente in einer Woche nicht selten 100 Schilling, was für mich damals sehr viel Geld war. Ich fühlte mich wertgeschätzt und wichtig. Zu schimpfen gab es bei Franz ohnehin nie etwas.
Franz war mein großes Vorbild und wurde schließlich auch mein Firmpate. Mit ihm sang ich beim Traktorfahren manchmal, meistens genoß ich aber nur das kraftvolle Motorengeräusch des 60er Steyrers und bewunderte die dunkle aufsteigende Rauchschwade, wenn der Motor beim Ackern voll auf Anschlag war. Tagelang verbrachte ich mit Franz gemeinsam auf dem Traktor und es war kein kleines Bisschen fad.
Onkel Franz ist leider schon verstorben und diese Erinnerungen sind beinahe 50 Jahre alt. Dennoch spüre ich zu ihm noch immer eine innige Verbindung, wenn ich daran denke.