15_St. Anton, entfesselte Gefühle

Am 25. Dezember 1989 nahm ich wieder einmal meinen ganzen Mut zusammen und schrieb Ingrid folgendes:

Liebe Ingrid!
So weit Du auch weg bist, ich denke trotzdem oft an Dich. Ob Gmunden oder St. Anton, Du kannst Dir gewiss sein, dass ich immer an Dich denke
und auch für Dich bete. Ingrid, ich mag Dich wirklich sehr. Ich darf Dir sagen, dass ich Sehnsucht nach Dir habe…
Weißt du, wonach mir jetzt zumute ist? Ich würde mich am liebsten gleich ins Auto setzen und nach St. Anton fahren…

Die drei Tage, bis von Ingrid eine Antwort kam, waren unendlich lang. Ihr Brief ist noch gerade rechtzeitig vor dem Silvestertreffen angekommen, bei dem ich diesmal schon als Gruppenleiter eingeteilt war.

Lieber Walter!
Ich liege im Bett – und das Buch, in dem ich grad gelesen habe, hat mich jetzt voll animiert, dir zu schreiben. Eigentlich gibt es gar nichts
Triftiges, das ich Dir erzählen müsste. Aber allein schon das „an Dich denken“ trägt mich in eine andere Welt, in meine Welt. Ja, und ich
denke sehr gern und oft an Dich“…

„Na, ja, „nichts Triftiges“ und doch denkt sie sehr gerne und oft an mich?“ Auf der dritten Seite kam dann noch eine Geschichte über eine Blume, in die ich mit etwas mehr Sicherheit hineininterpretieren konnte, dass Ingrid auch tiefere Gefühle für mich hatte. Ich war schon überglücklich, dass sie mich mit meinen Gefühlen nicht ablehnte. Trotz ihrer Zaghaftigkeit war es ein Schritt nach vorne.

Jetzt ging es erst einmal zum Silvestertreffen nach Stadl. Gleich am ersten Tag hielten wir unseren persönlichen Jahresrückblick. In der ersten freien Minute, die sich mir bot, setzte ich wieder zu einem Brief an Ingrid an. Ich musste den Beziehungsstatus zwischen uns jetzt endgültig klären.

Liebe Ingrid!
Danke für jede Stunde, jede Minute, die ich mit dir in diesem Jahr verbringen durfte. Wenn ich so im Stillen zurückdenke, so fühle ich mich wie der
glücklichste Mensch der Welt. Du warst und bist für mich der Mensch, der mir am meisten bedeutet. Ich möchte dir jetzt ganz frei sagen, dass ich dich
liebe, mehr als alle anderen…

„Diese faszinierende, junge Frau macht mich fertig“, dachte ich mir, als ihre Antwort kam. Mit keinem einzigen Wort ging sie auf meine Liebeserklärung ein. Ingrid schrieb mir genauso lieb wie immer, hat mich weder abgewiesen, noch hat sie sich einen Schritt
nach vorne gewagt. „Hat sie meinen Brief vielleicht noch gar nicht bekommen? Kann nicht sein, sie hat sich ja auf meinen Jahresrückblick
bezogen“.

Zum ersten mal als Gruppenleiter bei diesem Silvestertreffen dabei zu sein, gab mir genügend Selbstbewusstsein, um auf die einen oder anderen Probleme einzugehen, die bei den jugendlichen Teilnehmern da waren. Isolde lud mich in der Silvesternacht zu einem nächtlichen Spaziergang ein, der letzten Endes bis halb fünf Uhr in der Früh dauerte. Es ging vorwiegend um das schwierige Verhältnis zu ihren Eltern. Da war schnell eine Verbindung zwischen uns, weil ich ein guter Zuhörer war und auch meine Erfahrungen einbringen konnte. Und jetzt kommts: Isolde schrieb mir unmittelbar nach diesem Silvestertreffen einen Brief, in dem sie mir gestand, dass sie sich in mich verliebt hat!

„Boah! Das überfordert mich jetzt echt! Verliebt in MICH?“„Isolde ist mir sympatisch, sodass tat sächlich etwas aus uns werden könnte. Ich
kann mit ihr ähnlich gute Gespräche führen, wie mit Ingrid. Aber was ist nun mit Ingrid? Bis jetzt habe ich kein wirklich eindeutiges
Zeichen von ihr, dass sie mit mir zusammen sein will! Was mach ich bloß?“

Ich entschied mich, mit Ingrid weiterhin so offen zu sein, wie bisher und schrieb ihr von Isoldes Brief. Ihre Antwort war folgende:
„…was du da über Isolde schreibst, macht mich sehr betroffen – und fast ein bisschen schuldig. Ich kann mich sehr gut in ihre Situation
hineindenken – und mir wird kalt dabei. Und irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich Dir, nein, eher ihr im Weg stehe. Dass sie so viel Hoffnung in Dich legt, dass sie in Dir so viel Ideale sieht, dass sie Dich liebgewonnen hat… und ich bin diejenige, die ihr all das zerstört. Und darum bitte ich Dich wirklich, dass Du so handelst, wie Du es für gut und richtig hältst – ohne Rücksicht auf mich. Ich tue mir schwer, das so auszudrücken und zu schreiben wie ich es meine; ich kann nur hoffen, dass Du mich richtig verstehst. Ich möchte weder Dir, noch Isolde weh tun.“

„Wie kann ein Mensch so ein großes Herz haben?“, dachte ich mir, als ich diese Zeilen von Ingrid las. Und trotzdem ließ sie wieder einmal alles offen. Lieber wäre mir gewesen, wenn sie in Tränen ausgebrochen wäre und mir endlich klar und unmissverständlich geschrieben hätte, dass sie ebenso in mich verliebt ist, wie ich in sie und dass sie ohne mich nicht mehr sein wollte. Ich kann nicht sagen, dass ich für Isolde nichts empfunden hätte. Mein Herz war aber eindeutig bei Ingrid. Hätte ich mich nun anders entschieden, weil mir Isolde sicherer war als Ingrid, hätte ich mich selbst verleugnet. Wir hatten bereits eine 4 Jahre lange gemeinsame Geschichte, in der es unendlich viele scheinbare Zufälle gab, die uns immer wieder zusammen führten. Ich war mir zu diesem Zeitpunkt schon ziemlich sicher, dass Ingrid meine Lebenspartnerin sein sollte.

Kurz darauf besuchte ich Ingrid in St. Anton, das erste Mal noch gemeinsam mit Rosi Doblhammer, einer gemeinsamen Freundin. Sie gab mir Sicherheit und hatte trotzdem so viel Taktgefühl, dass sie uns einen Spaziergang zu zweit zugestand. Beim Verabschieden küssten Ingrid und ich uns zum ersten Mal! Es war ein unbeschreiblich schönes Kribbeln, die weichen Lippen von Ingrid zum ersten mal zu spüren! Die lange Reise für den einen Nachmittag zahlte sich also voll aus!

Ende März besuchte ich Ingrid noch ein zweites Mal – zu ihrem 22. Geburtstag. Ich brachte ihr einen selbstgemachten Schüttelkuchen und 22 rote Rosen mit. Ingrid freute sich riesig über meinen Besuch und war voller Stolz, als sie mich bei ihrer Kollegin und den Hotel-Chef’s mit den Rosen in der Hand vorstellte. Da konnte ich richtig beeindrucken 🙂 Total gut gefiel mir auch die neue Frisur von Ingrid. Sie war nun innen wie außen perfekt für mich!

Unsere Briefe wurden noch intensiver und länger. Der längste Brief von Ingrid umfasste 21 handgeschriebene A4-Seiten. Wir schrieben so oft, dass sich die Briefe am Weg zwischen Taufkirchen und St. Anton kreuzten. Einmal die Woche telefonierten wir aus der Telefonzelle. In den meisten Telefonaten ging eine 100 Schilling-Wertkarte drauf.

“Ich habe mich in dich verliebt,
ohne wirklich zu wissen, wer du bist.
Mein Herz sagt nur, du bist dieser eine Mensch für mich.”

14_War es doch mehr als Freundschaft?

Im Februar 1988 endete meine Lehrzeit. Ich musste mich entscheiden, ob ich wieder ganz nach Taufkirchen ziehe, oder in Gmunden bleibe. Einziges Kriterium für mich war, ob aus Ingrid und mir ein Paar werden könnte. Eigentlich wäre es logisch gewesen, Ingrid zu diesem Zeitpunkt
meine Liebe zu gestehen. Nach dem Gebetskreis in der Kösselmühlgasse wanderte ich mit ihr stundenlang durch die Dunkelheit der Gmundner Altstadt, um zu einer Entscheidung zu kommen. Ingrid und ich wogen alle möglichen Argumente ab, nur worum es wirklich ging, traute ich
mich ihr nicht zu sagen. Ich erhoffte mir zumindest ein inniges „du wirst mir fehlen“, was leider nicht kam.

Traurig und bedrückt über meine Unfähigkeit, Ingrid meine Liebe zu gestehen, ging ich also zurück nach Taufkirchen. „Der Traum mit Ingrid ein
Paar zu werden, ist endgültig zerbrochen“, dachte ich mir. Im Juni 1988 trafen wir uns jedoch unerwartet bei einem christlichen Jugendtreffen,
worauf mir Ingrid einen Brief schrieb, der mich total aufwühlte.

„es hat mir mit dir gestern ganz arg getaugt“,
„ich zehre heute noch von unserem Zusammensein“,
„ich freue mich auf das nächste Treffen“

Dennoch war es eine andere Art von Liebe als die, die ich mir wünschte. Ingrid verkörperte für mich die reine, göttliche Liebe. „Sie schrieb anderen mit Sicherheit genau so schöne Sätze“, dachte ich mir. Umso länger ich sie kannte, umso klarer wurde mir, dass sie für mich unerreichbar war und dass ich Ingrid über die freundschaftliche Ebene hinaus nichts geben konnte. Mir wurde schmerzlich bewusst, dass ich für sie nicht interessant sein konnte.

Im August 1988 trafen wir uns dann bei einem Gottesdienst von Franz Schobesberger in Brunnenthal. Ruth, Sunny und Robert waren mit Ingrid
unterwegs. Gemeinsam machten sie noch einen kurzen Abstecher zu uns nach Hause. Das war nicht ungewöhnlich, weil Ingrid von den Messen ja auch meine Eltern, sowie Fredi und Anneliese kannte. Als unsere Gäste mit Ingrid’s Auto den Heimweg antreten wollten, versagte plötzlich das Getriebe ihres Simca’s. Es ließ sich kein Gang mehr einlegen. Ingrid hatte am nächsten Tag Dienst im Pflegeheim und auch die anderen mussten nach Hause. Die einzige Möglichkeit war, dass ich sie mit Papa’s Opel Ascona, der ausreichend PS hatte, abschleppe. Ingrid fuhr nach 500 Metern schon zum zweiten Mal auf’s Seil, sodass es augenblicklich riss. Sunny erklärte sich bereit, mit Ingrid’s Simca zu fahren und Ingrid kam zu mir nach vorne in den Ascona. Mit knapp 50 km/h bei dunkler Nacht mit Ingrid von Taufkirchen nach Gmunden zu fahren, entfachte meine schon fast vergessen geglaubten Gefühle wieder voll. Wir hatten unendlich viel zu reden und ich genoß die Zweisamkeit mit Ingrid total. Als wir gegen 4 Uhr früh bei Ingrid zu Hause ankamen, war ich so müde, dass ich vor der Rückfahrt ein paar Stunden schlafen musste. Ingrid richtete mir auf dem Boden, unmittelbar neben ihrem Bett einen Schlafplatz. Ich weinte mehr, als ich schlief, weil ich wieder eine Gelegenheit verpasste, Ingrid meine Liebe zu gestehen. Es waren Tränen der Verzweiflung, von denen Ingrid nichts mitbekam. Am nächsten Morgen startete Ingrid ihr Auto, um nochmals zu prüfen, ob sich tatsächlich kein Gang einlegen lies. Wie durch ein Wunder funktionierte das Auto wieder einwandfrei. Es musste hinterher schon etwas repariert werden, aber dass es genau zu diesem Zeitpunkt streikte und anschließend wieder fahrtüchtig war, gab mir echt zu denken und Hoffnung, dass doch noch etwas aus uns werden könnte. Schließlich gab es ja auch so etwas wie Vorsehung 🙂

Der nächste Brief von Ingrid kam Anfang September 1988. Darin war eine Einladung zu einer Heubodenparty mit allen ihren Gebetskreis- u. Seminarfreunden enthalten. Wir waren um die 15 Leute und platzierten uns nach gemeinsamer Wanderung und Grillen mit unseren Schlafsäcken am Heuboden. Irgendwie gelang es mir, meinen Schlafsack unauffällig neben Ingrid zu platzieren. Bis 4 Uhr früh wurde an allen Ecken und Enden des Heubodens geblödelt und gelacht, obwohl andere schlafen wollten. Nun war ich endlich so weit: „Du Ingi, ich muss dir ganz was Wichtiges sagen“. Im selben Moment schrie Sepp von ganz hinten genervt nach vor: „Jetzt haltet endlich mal die Klappe, ich will schlafen“. Und wieder war die Chance dahin, Ingrid meine Liebe zu gestehen. Vielleicht hatte der Aufschrei von Sepp aber auch einen ganz anderen Grund. Er hätte es sich nämlich auch auf Ingrid gestanden, wie sich später herausstellte.

Unser Briefverkehr wurde nach dieser Party wesentlich intensiver. Ich zitiere aus Ingrid’s Briefen:

  • „Immer mehr darf ich erkennen, welch ein Segen es ist, Dich kennen zu dürfen“
  • „So, und wenn Du nichts dagegen hast, werde ich Dir nun ein Kompliment machen: Mir taugt Deine so herzliche Einfachheit; deine Art,
    wie Du mit Menschen umgehst; und ich freu mich ganz arg, dass Du ein echter Jünger Jesu sein willst, mit allem Ernst und mit Konsequenz. Du bist einfach super!“
  • „Du gehörst zu den Menschen, die diese Erde lebenswert machen“
  • „Danke für die Zeit, die ich mit dir verbringen durfte“
  • „es tut so gut zu wissen, dass es jemanden gibt, den man mag, dem man vertrauen kann – auch, wenn dieser weit weg ist. Danke! Und trotzdem ist
    nur der Gedanke daran wie ein Stückerl Heimat und ich spüre Wärme in mir.“

Trotzdem wusste ich, dass diese Zeilen von Ingrid immer noch rein freundschaftlich gemeint waren. Aus gesundheitlichen Gründen musste Ingrid ihren Beruf im Pflegeheim aufgeben. Kurzfristig und überraschend teilte ihr das Arbeitsamt einen Saisonarbeitsplatz in St. Anton am Arlberg als Zimmermädchen zu. Ingrid wollte sich am Vortag noch von einigen ihrer Freunde aus Schärding verabschieden. Sie war bei Franz Schobesberger, Rosi Dobelhammer und anderen. Mich besuchte sie als letztes. Wir machten einen ausgiebigen Spaziergang in eisiger Kälte. Das gab uns die Gelegenheit, uns gegenseitig die Hand in meiner Jackentasche zu wärmen. Nervös und nur halblaut sagte ich ihr, „du wirst mir fehlen“. Aber es half ja nichts. „Wie soll das weitergehen? Wir sind für die nächsten 4 Monate 340 km voneinander entfernt und womöglich bleibt sie dann für immer in St. Anton. Jetzt ist es wohl endgültig vorbei“, dachte ich traurig.

„Was du liebst, lasse frei.
Kommt es zurück, will es bei dir bleiben.“

13_Die Jugendgruppe Rutzenmoos

Über den Gebetskreis entwickelten sich freundschaftliche Kontakte zur Jugendgruppe in Rutzenmoos. Helga erzählte, dass sie immer schon mal
nach Medugorje fahren wollte. Ich sagte drauf, „ich auch, wer ist dabei?“ Es schlossen sich ganz spontan noch zwei weitere Mädchen
an (Eva und Andrea) und zwei Wochen später fuhren wir los. Gedopt mit 2 großen Tassen des stärksten Filterkaffees, den ich mit unserer alten Kaffemaschine kredenzen konnte, starteten wir um 2 Uhr früh. Die 900 km fuhr ich fast in einem Stück durch.

Der Aufenthalt in Medugorje war kurz und unspektakulär, eher enttäuschend würde ich sagen, weil in diesen zwei Tagen abgesehen von den großen Menschenmassen dort kaum was los war. Sprachlich gelang es uns auch nicht, irgendwie anzudocken. Wir hatten trotzdem eine schöne Zeit und ich genoss es mit den drei Mädchen unterwegs zu sein. Beim Heimfahren besuchten wir unter anderem den Plitvice Nationalpark, sprangen ab und zu ins Meer und bekamen in der fremden Kultur allerhand zu sehen. Geschlafen haben wir ausschließlich im Schlafsack neben dem Auto.

 

„Freunde sind diese rar gesähten Leute, die uns fragen, wie es uns geht und dann unsere Antwort abwarten.“

12_Das Mädchen mit dem blauen Kleid

Ich war 16, als ich bei einem Jugendseminar in Losensteinleiten dieses faszinierende, geerdete Mädchen mit dem schönen blauen Kleid und den
langen, geflochtenen Zöpfen wieder traf. Diesmal war sie mit engen Jeans und einem blauen Pullover gekleidet. Ihr schönes, lockiges Haar war zu
einem Pferdeschwanz gebunden. Sie war eine total natürliche, fröhliche Erscheinung mit einer ausgesprochen weiblichen Figur. Sie war bereits 18 und mit ihrem Auto angereist. Wir waren in der gemeinsamen Austauschgruppe, wodurch ich erfuhr, dass sie Ingrid heißt und in Gmunden
wohnt. „Boah!!! Gibt es solche Zufälle?“

An einem Abend lud sie mich in ihr Auto ein, in dem wir ausgiebig jausneten und die halbe Nacht über Gott und die Welt philosophierten, aber
auch über unsere Probleme austauschten. Es war sofort eine Verbindung da. Ingrid erzählte mir von ihrem Jugendgebetskreis und lud mich dorthin ein. „Jawohl, ich sehe sie wieder! Das kann kein Zufall sein!“.

Der Gebetskreis war ehrlich gesagt überhaupt nicht Meines. Ich ging aber trotzdem hin, um Ingrid wieder zu treffen. Ich fand mehr und mehr über ihre Art den Glauben zu leben heraus und ließ mich davon weiter anstecken. Sie war voller Idealismus und redete nicht nur von Liebe, sondern lebte sie. Doch eigentlich war es ein Rückschlag in meiner Hoffnung: Ingrid hatte nicht nur für mich immer ein Lächeln und zärtliche Blicke übrig, sondern sie ging auch auf die meisten anderen Menschen mit offenen Armen zu. Ich wollte viel mehr von ihr, ich war total verliebt in dieses wunderbare Mädchen. Aber es war zu offensichtlich, dass ich für Ingrid nur einer ihrer vielen Freunde sein konnte.

11_Mein Start ins Berufsleben

rsprünglich wollte ich Tischler werden. Die großen Holzbearbeitungsmaschinen beeindruckten mich und ich erinnerte mich gut daran, als der
Tischler unsere Stube und das Vorhaus einrichtete. Meine Eltern ermutigten mich, diesen Beruf zu ergreifen. Geschickt und fleißig war ich ja. Auf
Anfrage meines Vaters bekam ich beim Tischler Denk in Andorf einen Ferialjob, der mich ziemlich auf den Boden der Realität holte. 4 Wochen lang trug ich fast nur Spanplatten und andere schwere Teile durch die Gegend. Ich war fix und fertig.

Schließlich besorgten mir meine Eltern noch einen zweiten Ferialjob beim Buchinger-Tischler. Dabei schmiergelte ich tagelang Türen mit Lackschleifpapier, um sie für die zweite Lackierung vorzubereiten. Das war weniger anstrengend, aber nicht weniger eintönig. Mangels Alternativen behielt ich diesen Frust für mich und wäre fast Tischler geworden. Mein Papa organisierte dann noch ein Vorstellungsgespräch bei der Firma Weyland, wo er zu dieser Zeit arbeitete.
Am Heimweg von diesem Vorstellungsgespräch hatte mein Papa plötzlich einen Geistesblitz. Er legte eine Vollbremsung hin und fuhr rechts heran. „Bei der OKA (heute Energie AG) könnten wir auch noch nachfragen“, meinte er. Papa ging hinein, während ich im Auto wartete. Nach einigen Minuten kam er mit einem Bewerbungsformular wieder zurück. „Nun gut, wenn Papa meint, dann mache ich halt die Aufnahmeprüfung bei der OKA“. Wir mussten uns dann noch politisch als „Schwarze“ deklarieren, ein Empfehlungsschreiben eines Landesrates, der nicht einmal meine Eltern, geschweige denn mich kannte, wurde uns förmlich aufgedrängt. Und schließlich schrieb mein damaliger Schuldirektor und Schachlehrer seinem Freund und damaligen Generaldirektor der OKA noch einen Brief, in dem er mich empfahl.

Ich hatte keine Ahnung, was mich bei der OKA erwarten würde, außer dass ich in die Lehrwerkstatt nach Gmunden musste. Alle gaben mir zu verstehen, „wenn die OKA dich nimmt, dann musst du unbedingt zusagen“. Und sie nahmen mich tatsächlich auf! Ich war froh darüber, weil ich nun nicht mehr Tischler werden musste und sagte selbstverständlich zu.

Die Lehrzeit in Gmunden war für mich ein neuer Lebensabschnitt und kein Honiglecken. In meinem kleinen Zimmer, welches ich mir mit Silvio teilte, war ich 85km von zu Hause entfernt und kam nur am Wochenende heim. Die Umstellung war auch für einige meiner Jahrgangskollegen schwer. Vom Feilheft hatten wir Blasen an den Händen und den ganzen Tag am Schraubstock zu stehen, war alles andere als vergnüglich. Am Donnerstag der zweiten Woche leerten wir zu viert eine Flasche Schnaps, um unseren Frust zu ertränken.

Ich stellte schnell fest, dass die meisten meiner Lehrgangskollegen tatsächlich was drauf und nicht nur politische Fürsprecher hatten. Unter 240 Bewerbern wurden 20 ausgewählt und ich war dabei. Das heißt, die Konkurrenz war groß. Von meinen Noten her konnte ich mich am Anfang des hinteren Drittels halten. Damit war ich eigentlich zufrieden. Dennoch war ich spätestens ab dem zweiten Jahrgang wieder ein Außenseiter. Diesmal ausgelöst durch meine religiöse Überzeugung, die ich von den Seminaren in Stadl mitbrachte.

Eigentlich wollte ich mich gar nicht so stark outen, aber ich las in dem Buch „Wir wollen nur deine Seele“ von Satanismus und rückwärts bespielten Hardrock-Schallplatten. Selbst die Beatles sollen erst erfolgreich geworden sein, als John Lennon seine Seele Satan übergab. Mein Zimmerkollege Silvio hörte ausschließlich Hardrock und das nicht zu leise. Ich wollte mir das nicht mehr jeden Tag reinziehen müssen, also habe ich mich geoutet.

Was das unter zwanzig Jugendlichen hieß, von denen nicht wenige Hardrockfans waren, kann man sich ja lebhaft vorstellen. Nun wurde ich nicht nur mehr wegen meines Dialekts, sondern auch wegen meinem Glauben und der Angst vor Hardrock gehänselt. Trotzdem war ich zu diesem Zeitpunkt schon so gefestigt, dass ich ganz gut damit umgehen konnte. Ich lernte durch diese Ereignisse, unter härtesten Bedingungen den Mund aufzumachen und für mich und meine Werte einzustehen. Silvio machte den angeblichen Satanismus im Hardrock nämlich zum Thema in der Religionsstunde der Berufsschule. Dabei diskutierte ich mit all meiner Überzeugung alleine gegen die ganze Klasse – inklusive dem Lehrer, der auch nicht ganz neutral war.

Die Lehrzeit war eine dieser vielen Erfahrungen, die mich stark gemacht haben. Für die Ausbildung zum Starkstrommonteur bin ich heute noch dankbar. Bei der Handfertigung des Schraubstocks, der immer noch in unserer Werkstatt steht, verfeinerte ich mein handwerkliches Geschick. Ich lernte drehen, schweißen, schleifen und andere Metallbearbeitungsverfahren, sowie das ganze Repertoire eines Betriebselektrikers.

„Mit der Menge zu gehen ist einfach.
Es braucht Mut, um allein zu stehen.“

10_Jungschar- u. Jugendleiter

Mit den positiven Erfahrungen von Stadl fühlte ich mich nach und nach auch in der Jugendgruppe unserer Pfarre wohler. Schließlich übernahm ich mit Ingrid Ebner sogar eine Jungschargruppe. Anfangs war das mit viel Unsicherheit verbunden, aber ich stellte schnell fest, dass ich bei den
Kids gut ankam. Sie vertrauten mir und rissen sich nicht selten um die Plätze neben mir. Ich denke, dass ich sie auch gut motivieren konnte. Die Gruppe wurde jedenfalls größer, während Ingrid E. und ich sie leiteten. Mir war es wichtig, mit den Kindern nicht nur zu basteln, sondern
ihnen ein guter Freund zu sein und ihnen etwas für’s Leben mitzugeben.

Neben dem Jungscharlager und dem Sternsingen war eines der Highlights, als wir mit 24 Kindern (größtenteils ohne Bergerfahrung) auf den Traunstein gingen. Noch relativ weit unten, vor der ersten Leiter stehend, meinten einige ziemlich verzagt, „da traue ich mich nicht hinauf!“. Schließlich brachten wir jeden einzelnen Schritt für Schritt mit gutem Zureden und uneingeschränktem Gottvertrauen an den Gipfel (und auch wieder nach Hause). Heute würde ich mich das mit Sicherheit nicht mehr trauen, aber trotzdem wuchs dabei eine
ganz starke Verbindung zu den uns anvertrauten Kindern.

„Freunde sind Menschen, die dir nicht nur den Weg zeigen,
sondern ihn einfach mit dir gehen.“