01_Erste und zweite Klasse Volksschule
der Volksschule war ich ein sehr ruhiges Kind. Vielleicht, weil ich mit meinen 4 Geschwistern zum „brav sein“ erzogen wurde. Meine Lehrerin in
den ersten beiden Schuljahren war die gefürchtete Frau Flach. Sie war nicht nur streng, sondern so cholerisch, wie man sich das in der heutigen Zeit weder von einer Lehrkraft, noch von sonst jemandem vorstellen kann, der Menschen führen, geschweige denn Kinder erziehen sollte.
Frau Flach rastete immer wieder einmal total aus, sodass ich wie die meisten anderen Kinder Angst vor ihr hatte. Ich erinnere mich noch gut an diese kleine, alte, verbitterte Frau mit ihren tiefen Falten und ihren stahlblauen Augen, die eindeutig Gefahr bedeuteten, wenn sie in Rage war.
Interessanterweise konnte sie schon auch lachen und herzlich sein. Das heißt, ihre Stimmung wechselte von einer Sekunde auf die andere, ohne jegliche Vorwarnung und manchmal ohne einen für mich erkennbaren Grund. Als sie wieder einmal so einen Ausbruch hatte, der mit meiner Mitschülerin Maria gar nichts zu tun hatte, fing diese ganz leise und geduckt zu weinen an und es dauerte nicht lange, bis sich unter ihrem Sessel eine Pfütze bildete. Wie muss sie sich wohl geschämt haben? Sensibel wie Maria war, war es kein Wunder, dass sie während ihrer gesamten Schulzeit das sich duckende Mauerblümchen blieb.
Für’s Zeichnen hatte ich vielleicht nicht das ganz große Talent, aber diesmal zeichnete ich unseren neuen, orangen Heizofen. Mit Freude dachte ich während des Zeichnens daran, wie ich den Monteuren beim Aufstellen des Ofens zuschauen und zur Hand gehen durfte. Es war für mich immer ein Highlight, wenn sich um Haus und Hof etwas bewegte. Das war einfach meine Welt. Mit inbrünstiger Leidenschaft und Genuss malte ich diesen neuen Heizofen auf meinem A3-Zeichenblock originalgetreu orange an. Meine kindliche Hoffnung war, diesmal einen römischen Einser zu bekommen. Nicht zuletzt wegen der schönen Farbe und weil ich die Ecken wirklich schön ausmalte, war es in meinen Augen die beste Zeichnung, die mir je gelang.
Als wir am übernächsten Schultag die Zeichnungen zurück bekamen, wurde ich kreidebleich. Ich war wie gelähmt und unfähig, irgend einen klaren Gedanken zu fassen. Der orange Heizofen war diagonal über das ganze Blatt mit rotem Kugelschreiber durchgestrichen. Auch wenn das unglaublich erscheint, so meine ich mich daran zu erinnern, dass in der rechten unteren Ecke meiner Zeichnung ein Fünfer stand. Irgendwie gefiel mir meine Zeichnung immer noch sehr gut, aber wie konnte ich mich nur so täuschen?
Mein Gefühl der echten Freude und Zufriedenheit wurde zertrampelt und wandelte sich schlagartig in Traurigkeit, Verunsicherung und Scham. Ich war verwirrt und hatte wieder einmal den Verdacht, dass da irgend etwas mit mir nicht stimmt. „Was habe ich nur falsch gemacht?“
Ich verstand die Welt nicht mehr, hatte aber weder die Chance, noch den Mut mich zu wehren. „Einen orangen Heizofen gibt es nicht“, gab Frau Flach aufgekratzt von sich, als sie die Zeichnungen austeilte. Meinen Eltern erzählte ich davon nichts, obwohl sie dieses Missverständnis aufklären hätten können. Dafür schämte ich mich zu sehr.
In der Hauptschule wurde Zeichnen für viele zum Lieblingsfach, für mich war diese Chance vergeben. Meine Zeichnungen blieben tatsächlich unterirdisch, die Zeichenstunden waren eine Qual und ich hatte seither nie wieder Freude beim Zeichnen. Oder doch, ich freue mich, wenn ich für unsere Enkelkinder eine Mizi (Katze) zeichnen darf, das kann ich nämlich ziemlich gut 😉
Auf Ostern hin durften wir in der zweiten Klasse ausgeblasene Eier mit Wachsmalstiften bemalen. Hubert malte bei einem Ei ein zweites Mal mit einer anderen Farbe drüber. Frau Flach, die diesmal gut gelaunt war, bemerkte dies. Von einer Sekunde auf die andere schlug ihre gute Stimmung in abgrundtiefen Zorn und pure Aggression um. „Du dummer Bub, wie kann man nur so blöd sein!“. Sie attackierte den eigentlich immer ruhigen und braven Hubert diesmal nicht nur verbal, sondern schlug ihm sogar mit der Hand ins Gesicht. Für mich war und ist es heute noch erstaunlich, dass Hubert seinen Plan trotzdem zu Ende brachte. Er kratzte seelenruhig, mit einer Nadel durch die oberste Farbschicht hindurch, ein schönes Muster heraus. Nun hatte er das einzige Ei mit 2 Farben und so einem schönen Muster. Es war bestimmt das schönste Osterei der ganzen Klasse.
Heute frage ich mich, in wie weit mich diese ersten beiden Schuljahre prägten? Bei jedem Laut und bei jedem Fehler drohte Gefahr. „Lieber nichts sagen, als etwas Falsches“, dabei war ja das Richtige (der orange Heizofen oder die schönen Ostereier) auch falsch. Deshalb duckte ich mich und ordnete mich unter wo es nur ging, um ja nicht in Bedrängnis zu kommen. Das hinterließ natürlich Spuren. Die Angst, dass ich etwas Falsches sagen könnte oder vielmehr, dass ich falsch bin, zog sich durch mein halbes Leben. Dennoch empfinde ich heute keinen Groll. Im Rückblick würde ich sagen, dass mich diese Erfahrungen geprägt, aber nicht gebrochen haben. Dafür war ich dann innerlich doch zu stark. Ich wünsche solch schwierige Erfahrungen wirklich keinem Kind, dennoch waren sie für mich Teil meines ganz persönlichen Entwicklungsprozesses. Ich bin heute sogar ein wenig stolz darauf, diese Zeit relativ gut bewältigt zu haben.
“Was uns am meisten herausfordert, lässt uns am meisten wachsen.”