11_Mein Start ins Berufsleben

rsprünglich wollte ich Tischler werden. Die großen Holzbearbeitungsmaschinen beeindruckten mich und ich erinnerte mich gut daran, als der
Tischler unsere Stube und das Vorhaus einrichtete. Meine Eltern ermutigten mich, diesen Beruf zu ergreifen. Geschickt und fleißig war ich ja. Auf
Anfrage meines Vaters bekam ich beim Tischler Denk in Andorf einen Ferialjob, der mich ziemlich auf den Boden der Realität holte. 4 Wochen lang trug ich fast nur Spanplatten und andere schwere Teile durch die Gegend. Ich war fix und fertig.

Schließlich besorgten mir meine Eltern noch einen zweiten Ferialjob beim Buchinger-Tischler. Dabei schmiergelte ich tagelang Türen mit Lackschleifpapier, um sie für die zweite Lackierung vorzubereiten. Das war weniger anstrengend, aber nicht weniger eintönig. Mangels Alternativen behielt ich diesen Frust für mich und wäre fast Tischler geworden. Mein Papa organisierte dann noch ein Vorstellungsgespräch bei der Firma Weyland, wo er zu dieser Zeit arbeitete.
Am Heimweg von diesem Vorstellungsgespräch hatte mein Papa plötzlich einen Geistesblitz. Er legte eine Vollbremsung hin und fuhr rechts heran. „Bei der OKA (heute Energie AG) könnten wir auch noch nachfragen“, meinte er. Papa ging hinein, während ich im Auto wartete. Nach einigen Minuten kam er mit einem Bewerbungsformular wieder zurück. „Nun gut, wenn Papa meint, dann mache ich halt die Aufnahmeprüfung bei der OKA“. Wir mussten uns dann noch politisch als „Schwarze“ deklarieren, ein Empfehlungsschreiben eines Landesrates, der nicht einmal meine Eltern, geschweige denn mich kannte, wurde uns förmlich aufgedrängt. Und schließlich schrieb mein damaliger Schuldirektor und Schachlehrer seinem Freund und damaligen Generaldirektor der OKA noch einen Brief, in dem er mich empfahl.

Ich hatte keine Ahnung, was mich bei der OKA erwarten würde, außer dass ich in die Lehrwerkstatt nach Gmunden musste. Alle gaben mir zu verstehen, „wenn die OKA dich nimmt, dann musst du unbedingt zusagen“. Und sie nahmen mich tatsächlich auf! Ich war froh darüber, weil ich nun nicht mehr Tischler werden musste und sagte selbstverständlich zu.

Die Lehrzeit in Gmunden war für mich ein neuer Lebensabschnitt und kein Honiglecken. In meinem kleinen Zimmer, welches ich mir mit Silvio teilte, war ich 85km von zu Hause entfernt und kam nur am Wochenende heim. Die Umstellung war auch für einige meiner Jahrgangskollegen schwer. Vom Feilheft hatten wir Blasen an den Händen und den ganzen Tag am Schraubstock zu stehen, war alles andere als vergnüglich. Am Donnerstag der zweiten Woche leerten wir zu viert eine Flasche Schnaps, um unseren Frust zu ertränken.

Ich stellte schnell fest, dass die meisten meiner Lehrgangskollegen tatsächlich was drauf und nicht nur politische Fürsprecher hatten. Unter 240 Bewerbern wurden 20 ausgewählt und ich war dabei. Das heißt, die Konkurrenz war groß. Von meinen Noten her konnte ich mich am Anfang des hinteren Drittels halten. Damit war ich eigentlich zufrieden. Dennoch war ich spätestens ab dem zweiten Jahrgang wieder ein Außenseiter. Diesmal ausgelöst durch meine religiöse Überzeugung, die ich von den Seminaren in Stadl mitbrachte.

Eigentlich wollte ich mich gar nicht so stark outen, aber ich las in dem Buch „Wir wollen nur deine Seele“ von Satanismus und rückwärts bespielten Hardrock-Schallplatten. Selbst die Beatles sollen erst erfolgreich geworden sein, als John Lennon seine Seele Satan übergab. Mein Zimmerkollege Silvio hörte ausschließlich Hardrock und das nicht zu leise. Ich wollte mir das nicht mehr jeden Tag reinziehen müssen, also habe ich mich geoutet.

Was das unter zwanzig Jugendlichen hieß, von denen nicht wenige Hardrockfans waren, kann man sich ja lebhaft vorstellen. Nun wurde ich nicht nur mehr wegen meines Dialekts, sondern auch wegen meinem Glauben und der Angst vor Hardrock gehänselt. Trotzdem war ich zu diesem Zeitpunkt schon so gefestigt, dass ich ganz gut damit umgehen konnte. Ich lernte durch diese Ereignisse, unter härtesten Bedingungen den Mund aufzumachen und für mich und meine Werte einzustehen. Silvio machte den angeblichen Satanismus im Hardrock nämlich zum Thema in der Religionsstunde der Berufsschule. Dabei diskutierte ich mit all meiner Überzeugung alleine gegen die ganze Klasse – inklusive dem Lehrer, der auch nicht ganz neutral war.

Die Lehrzeit war eine dieser vielen Erfahrungen, die mich stark gemacht haben. Für die Ausbildung zum Starkstrommonteur bin ich heute noch dankbar. Bei der Handfertigung des Schraubstocks, der immer noch in unserer Werkstatt steht, verfeinerte ich mein handwerkliches Geschick. Ich lernte drehen, schweißen, schleifen und andere Metallbearbeitungsverfahren, sowie das ganze Repertoire eines Betriebselektrikers.

„Mit der Menge zu gehen ist einfach.
Es braucht Mut, um allein zu stehen.“

10_Jungschar- u. Jugendleiter

Mit den positiven Erfahrungen von Stadl fühlte ich mich nach und nach auch in der Jugendgruppe unserer Pfarre wohler. Schließlich übernahm ich mit Ingrid Ebner sogar eine Jungschargruppe. Anfangs war das mit viel Unsicherheit verbunden, aber ich stellte schnell fest, dass ich bei den
Kids gut ankam. Sie vertrauten mir und rissen sich nicht selten um die Plätze neben mir. Ich denke, dass ich sie auch gut motivieren konnte. Die Gruppe wurde jedenfalls größer, während Ingrid E. und ich sie leiteten. Mir war es wichtig, mit den Kindern nicht nur zu basteln, sondern
ihnen ein guter Freund zu sein und ihnen etwas für’s Leben mitzugeben.

Neben dem Jungscharlager und dem Sternsingen war eines der Highlights, als wir mit 24 Kindern (größtenteils ohne Bergerfahrung) auf den Traunstein gingen. Noch relativ weit unten, vor der ersten Leiter stehend, meinten einige ziemlich verzagt, „da traue ich mich nicht hinauf!“. Schließlich brachten wir jeden einzelnen Schritt für Schritt mit gutem Zureden und uneingeschränktem Gottvertrauen an den Gipfel (und auch wieder nach Hause). Heute würde ich mich das mit Sicherheit nicht mehr trauen, aber trotzdem wuchs dabei eine
ganz starke Verbindung zu den uns anvertrauten Kindern.

„Freunde sind Menschen, die dir nicht nur den Weg zeigen,
sondern ihn einfach mit dir gehen.“

09_Die Jugend-Glaubensseminare in Stadl

Meine Eltern waren und sind immer noch sehr christlich. Fredi und Anneliese nahmen bereits an so einem Jugendseminar von Franz Schobesberger teil. Ich war damals 14 Jahre alt und meine Gefühle und mein daraus resultierendes Verhalten war in unterschiedlichen Umgebungen sehr gegensätzlich. Im Schachverein war ich gut verankert und auch in der Schule hatte ich Freunde. Da gab es immer etwas zu scherzen und zu lachen. Lange Zeit war ich sogar so etwas wie der Klassenkasperl. Diese Rolle genoss ich sehr – insbesondere in Physik, als ich die Versuche des Lehrers häufig in Frage stellte und dann der große Star war, wenn’s tatsächlich nicht klappte. Z.B. riss ich mit meinen Verbündeten die Vakuumkugel auseinander, was angeblich nicht einmal zwei Pferde schaffen sollten und physikalisch unmöglich war. Dass die Dichtung defekt gewesen sein musste, war dabei Nebensache.

Daheim kapselte ich mich mehr und mehr ab. Obwohl ich darunter litt, konnte ich es nicht ändern. Der Satz von meiner Mutter, „sei doch nicht so verdrossen“, drückte mir eher einen Stempel auf, als dass er mir half. Ich schaffte es zu Hause einfach nicht, so zu sein, wie ich wirklich wollte.

Mein Komplex den Mädchen gegenüber, die ich nur aus sicherer Entfernung anhimmeln konnte, machte es auch schwer für mich. Als Fredi und Anneliese total begeistert und verwandelt von ihrem ersten Glaubens Seminar nach Hause kamen, wollten meine Eltern mich auch zur Teilnahme überreden. Begeistert war ich nicht, aber abzulehnen war auch keine Option.

Die Vorträge von Franz waren nicht uninteressant. Unter den vielen Jugendlichen fühlte ich mich jedoch wie ein Außerirdischer. Ich hatte ja das Problem mit dem Stottern, wenn ich mich unsicher fühlte. Deshalb waren die Gruppenphasen für mich der blanke Horror. Ich bekam keinen einzigen geraden Satz heraus und bekam von dem, was die anderen berichteten, keine Silbe mit. Während ich vor Angst, etwas sagen zu müssen, völlig ausgeschaltet war, versuchte ich, mir einen einzigen Satz einzuprägen und innerlich immer wieder zu wiederholen, bis ich an der Reihe war.

In der Freizeit zwischen den Vorträgen und Gruppenphasen ging es mir ähnlich. Die überschwängliche Begeisterung beim Singen mit erhobenen Händen und freudigen Gesichtern, die bei einem Mädchen sogar in einen Trancezustand mündeten, konnte ich nicht nachvollziehen. Nachdem
aber die meisten so begeistert waren, fühlte ich mich wieder einmal falsch und fehl am Platz. Ich wollte meine Verklemmtheit ja überwinden, sah aber keine Chance dazu. Nach außen hin machte ich mit, um nicht allzu sehr aufzufallen. Ich hielt mich so gut es ging am Rand und sehnte mich danach, dass diese Seminarwoche endlich vorüber war.

Die Hoffnung meiner Eltern, dass ich genauso begeistert nach Hause kommen würde, wie meine älteren Geschwister, konnte ich nicht erfüllen. Doch einen kleinen Lichtblick gab es unter den vielen Jugendlichen. Ein Mädchen mit einem blauen Kleid und langen Zöpfen ist mir aufgefallen. Sie schien auch begeistert von dem Seminar zu sein, aber auf einer anderen, viel tieferen Ebene. Sie wirkte auf mich viel geerdeter als alle anderen und mehr nach innen orientiert. Sie hatte für mich etwas Anziehendes, wenngleich ich auch nicht sagen konnte, dass ich in sie verliebt war. Wir wechselten kein einziges Wort miteinander und ich kann mich nicht erinnern, irgendwo direkt an ihr vorbeigelaufen zu sein. Ohne zu wissen was es genau war, verband mich etwas mit ihr, was sich erst viel später herausstellen sollte.

Ein Jahr darauf war in Stadl das nächste Jugendseminar mit rund 50 Jugendlichen geplant. Meine Eltern nötigten mich wiederum hinzufahren. Vermutlich wegen ihrer christlichen Überzeugung und der Hoffnung, dass ich darin ebenso wie meine älteren Geschwister, mein Glück finden könnte. Brav ließ ich mich wieder zur Teilnahme überreden und konnte mich diesmal auch schon eine Spur mehr begeistern.

Beim dritten Anlauf war alles anders! Diesmal wurde ich wesentlich offener und fand wirklich Halt in meinem Glauben. Die Liebe Jesu war ab diesem Zeitpunkt ein totales Vorbild für mich, welches ich auch leben wollte. Ich war plötzlich voller Tatendrang, wollte die Welt verbessern, für andere Menschen da sein, vielleicht sogar auf Entwicklungshilfe gehen.
Eine echte Wende in meinem Leben wurde eingeleitet. Auslöser für diese Wende war Erika, ein Mädchen meines Alters. Ich kam mit ihr bei diesem Seminar ins Gespräch und habe mich zum ersten Mal in meinem Leben von einem Mädchen angenommen und verstanden gefühlt. Erika hatte schönes, braunes, langes, gewelltes Haar, eine gute Figur und war unaufdringlich. Zum ersten mal war ich so richtig verliebt. Und ich hatte zum ersten mal das Gefühl, dass ich wirklich dazu gehöre.

Als ich wieder zu Hause war, suchte ich mir Erika‘s Telefonnummer aus der Adressenliste heraus. Ich saß tagelang vor dem Telefon und überlegte, ob ich sie anrufen könnte. Die Angst, abgewiesen und vielleicht sogar belächelt zu werden, war allerdings viel stärker, als mein Mut. „Warum sollte dieses liebe und schöne Mädchen gerade mich wollen? Unmöglich!“, dachte ich mir, also ließ ich es sein.

Beim Schreiben denke ich mir nun, „vielleicht sollte ich sie aufspüren, nur um ihr zu sagen, dass sie es war, die meinem Leben damals eine ganz neue Richtung gab.“ Sie war ein Engel, der einfach da war, den ich aber nie wieder sah oder hörte.

Es folgten weitere Seminare, Silvester- und Pfingsttreffen. Die Gruppenphasen waren für mich immer noch anstrengend, aber in meiner sonstigen, immer stärker werdenden Begeisterung, konnte ich damit gut leben. Am Ende der Seminare mit Franz Schobesberger stand immer ein ganz besonderes Ritual – die sogenannte Lebensübergabe. Gemeint war damit, sich bewusst dafür zu entscheiden, sich von der Liebe Jesu führen zu lassen.
Dieses Ritual war freiwillig. Als der Zeitpunkt kam, war ich mir ganz sicher, dass das eine Bereicherung für mein Leben war. Und irgendwie war es auch ein sichtbares Zeichen, in eine Gemeinschaft liebender Menschen aufgenommen zu werden. Jesus ist tatsächlich zu meinem ständigen Begleiter geworden. In diesem Gedanken fühlte ich mich viel sicherer als früher und gewann nach und nach etwas mehr Selbstvertrauen. Mein Leben bekam eine Richtung und ich konnte dadurch mein eigenes Profil entwickeln.

Heute bin ich froh, dass mich meine Eltern so lange anstupsten, bis auch bei mir der sprichwörtliche Knopf aufging. Bei einem weiteren Seminar in Losensteinleiten traf ich wieder dieses faszinierende, geerdete Mädchen mit dem schönen blauen Kleid und den langen, geflochtenen Zöpfen, aber das ist eine andere Geschichte.

“Wer glücklich sein will,
muss bereit sein sich zu verändern.”

07_Der Schachverein

Der Schachverein bot mir die erste Möglichkeit, am Freitag Abend ohne die Aufsicht meiner Eltern weg zu sein. Rudolf Bittner, der Vereinsobmann war für meine Eltern der Garant, dass ich nicht unbemerkt auf die schiefe Bahn geraten konnte. Wenn wir am Sonntag auswärts Meisterschaft spielten, gingen wir mit Rudolf in die Frühmesse, bevor das Turnier begann. Das war die Bedingung meiner Eltern, aber es war auch Rudolf ein Anliegen.

Schulschach und der Schachverein ergänzten sich freundschaftstechnisch perfekt. D.h. meine Jugend war SCHACH in Großbuchstaben. Ich war
gefordert, hatte Erfolge und jede Menge Spaß mit meinen Schachfreunden – zum Beispiel beim Tandemschach. Ich schaffte es zwar nicht an die Spitze, aber das war mir egal. Unter meinen gleichaltrigen Freunden konnte ich sehr gut mithalten und war gefragt. Dass ich jeden Freitag, im Winter bei Dunkelheit, alleine durch ein ziemlich großes Waldstück gehen musste, um zu Fuß ins Vereinslokal zu kommen, nahm ich trotz meiner Ängste gerne in Kauf.

Niederlagen konnte ich beim Schach nicht immer so gut verkraften. Sieben der acht Meisterschaftspartien waren bereits beendet. Nur ich kämpfte nach mehr als fünf Stunden Spielzeit noch ehrgeizig um den Sieg, gegen einen eigentlich weit überlegenen Gegner. Ich war mit zwei Bauern im Vorteil, es sollte also nicht allzu schwierig sein, diese Partie für mich zu entscheiden. Alle anderen Spieler unseres Vereins und auch die der gegnerischen Mannschaft standen um uns herum, analysierten und tuschelten. In jedem ihrer Gesichter und an ihrer Gestik war ablesbar, was sie vom einen oder anderen meiner Züge hielten. Unfähig dieser Belastung standzuhalten, beging ich einen Fehler, der mich die Partie kosten sollte. Als ich den Fehler bemerkte, war ich gelähmt, wie in einem schlechten Film. Das Getuschel um mich herum, das sichtbare Bedauern, die verärgerten Gesichter mancher Vereinskollegen, die Freude der gegnerischen Zuschauer, dieser giftige Gefühlscocktail überwältigte und streckte mich augenblicklich zu Boden. Ich war in diesem Moment nicht mehr Herr meiner Sinne. Die Tränen schossen von einem Moment auf den anderen aus meinen Augen. Ich kam mir vor, als wurde ich vor allen Anwesenden bis auf die Haut ausgezogen und schämte mich fürchterlich. So konnte ich mich auf keinen Fall zeigen. Um der Situation und den weiteren Analysen zu entkommen, schob ich die Figuren auf dem Schachbrett blitzschnell zusammen und rannte zur Tür hinaus. Das war ziemlich unsportlich von mir, aber es ging in diesem Moment nicht anders.

 

“Wer versteht, die Früchte seiner Niederlagen zu ernten,
wird gestärkt aus ihnen hervorgehen.”

02_Dritte u. vierte. Klasse Volksschule

In der dritten und vierten Klasse hatten wir die sehr strenge Frau Hirner. Sie war ungewohnt ruhig, um nicht zu sagen monoton und einschläfernd. Angst musste man vor ihr nicht haben, höchstens vor ihren Noten. In Mathematik war ich leicht unter dem Durchschnitt, in Deutsch und im Lesen war ich damals noch unterirdisch schlecht. Meine Aufsätze, mit denen ich bei der Abgabe noch recht zufrieden war, endeten bestenfalls mit einem Genügend, was aufgrund meiner vielen Rechtschreibfehler meistens noch geschmeichelt war. Die mit rotem Stift korrigierten Aufsätze sehe ich noch so klar vor mir, dass es mir bei dem vielen rot heute noch unerklärlich ist, warum im Zeugnis letzten Endes ein Befriedigend stand. Es hatte wohl damit zu tun, dass Mama und Frau Hirner gemeinsam im Kirchenchor waren.

Die eigentliche Herausforderung in der dritten und vierten Klasse waren die älteren, sitzen gebliebenen Schüler. Karli tyrannisierte alle! Reißnägel unterlegen, bevor man sich hinsetzen konnte, war da noch das Harmloseste. Er ging in der Pause durch die Klasse und rannte jedem der ihm über den Weg lief, die Spitze seines Zirkels in den Hintern. Er zettelte fast täglich eine Rauferei an, wo er als der Älteste natürlich als Sieger hervorging. Es verging kaum ein Tag, an dem er nicht irgend jemandem meiner Klassenkameraden einen Magenboxer verpasste.

Auch in diesen beiden Jahren habe ich gelernt und weiter perfektioniert, wie man sich am besten unbemerkt macht. Meine Strategie war: „Nur ja nicht auffallen“, weder im Unterricht und schon gar nicht in den Pausen. Jene Mitschüler, die in der Bande von Karli sein wollten, tyrannisierte er noch mehr als alle anderen, was mich in meiner Strategie bestätigte: „Möglichst weit weg bleiben, Karli auf keinen Fall ansprechen, Augenkontakt vermeiden, mit dem Blick zum Boden durch die Klasse gehen“. Im Großen und Ganzen funktionierte das recht gut.

Die Angst davor, etwas Falsches zu sagen, brannte sich trotzdem in mir ein, wie ein schmerzender Stachel, den ich über Jahrzehnte nicht entfernen konnte. Immer dann, wenn ich mich in meiner Umgebung nicht hundert prozentig sicher fühlte, stotterte ich und brachte keinen geraden Satz über meine Lippen. Diesen Zusammenhang, entdeckte ich aber erst viel später. Schulfreunde hatte ich damals kaum. Nur mit Robert, meinem Sitznachbarn, traf ich mich ab und zu. Wir standen beide irgendwie am Rand und waren deshalb froh, uns als Freunde bezeichnen zu können. Ich erinnere mich allerdings nur mehr daran, wie lang so ein Nachmittag sein konnte, wenn ich ihn im Nachbardorf besuchte.

“Oft muss man stark sein,
wenn man etwas verändern möchte.
Aber noch stärker muss man sein,
wenn man akzeptieren muss, wie es ist,
oder warten muss, bis es vorüber ist.”