21_Unsere Kinder

Daniel, Christian und Michael waren unsere absoluten Wunschkinder. Jeder von unseren tollen Burschen würde ein eigenes Buch füllen, was ich an dieser Stelle ganz bewusst nicht mache. 

So viel sei aber gesagt, unsere drei Jungs hätten unterschiedlicher nicht sein können. Nur in einem waren sie sich sehr ähnlich, sie schliefen als
Kleinkinder sehr wenig. Meistens auch nicht in der Nacht, obwohl es vom einen zum nächsten unserer Kinder jeweils um eine Spur besser wurde.

Daniel hatte mit vier Wochen einen sehr schwer diagnostizierbaren, lebensbedrohlichen Zwerchfellbruch. Es brauchte einige Wunder, um zu überleben. Begonnen hatte es mit starken Blähungen, die ihn speziell in der Nacht sehr unruhig werden ließen. „Das sind die Buben“, versuchte
man uns immer wieder zu beruhigen.

Am 11. Juni 1992 schrie Daniel nach dem Trinken an Ingrid‘s Brust los, so laut er konnte. Er schrie und weinte, bis er erschöpft
einschlief. Doch eine Viertelstunde später fing er wieder an zu schreien. Er schrie und schrie, obwohl er keine Stimme mehr hatte. Wir waren aufgewühlt und äußerst beunruhigt. Eigentlich waren wir sonst bei einem Kinderarzt in Gmunden, aber es schien jetzt um etwas wirklich Dramatisches zu gehen. Also rief ich meinen Großcousin Alois Gruber an, der Kinderarzt in Grieskirchen war und einen ausgezeichneten Ruf hatte. Diese Idee war vielleicht schon die erste lebensrettende Fügung in einer langen Kette von Ereignissen, in der jedes einzelne zum Tod von Daniel führen hätte können.

Wir konnten sofort in die Ordniation von Lois kommen. Lois nahm Daniel etwas Blut ab und stellte sehr hohe Entzündungswerte fest, worauf Daniel ein Medikament verabreicht wurde. Lois sah die Sorge in unseren Gesichtern und schickte uns darauf hin nicht heim, sondern meinte: „ihr könntet doch eure Eltern in Taufkirchen besuchen und am Nachmittag noch einmal vorbei schauen. Dann müssten die Entzündungswerte auf jeden Fall schon besser sein“. Die Entzündungswerte waren am Nachmittag aber auch nicht besser –im Gegenteil. Darauf hin wies Lois Ingrid mit Daniel ins Krankenhaus Grieskirchen ein, wo er Primar der Kinderstation war.

Um 19 Uhr fuhr ich aufgewühlt nach Hause, um die Tauffeier abzusagen, die am darauffolgenden Tag stattfinden sollte. Um 23 Uhr klingelte das Telefon – das konnte nur Ingrid sein. „So spät, das ist kein gutes Zeichen“, dachte ich mir. Was sie mir nun erzählte, war für mich der reinste Schock und es zog mir den Boden unter den Füßen weg. Eigentlich dachte ich, sie wären im Krankenhaus in Grieskirchen, aber Ingrid rief aus Linz an: „Ich bin in Linz, Daniel ist im OP und ich weiß nicht, ob er es überleben wird“, schluchzte sie. Während Ingrid mir von den dramatischen Szenen erzählte, die sich in der Zwischenzeit ereigneten war es, als würde es mir das Herz herausreißen: „Vier Ärzte standen um Daniel herum. Er war kreidebleich und total regungslos. Keiner wusste, was sie mit seinem verwirrenden Röntgenbild anfangen sollten. Eine Schwestern-Schülerin hatte dann die Idee, „sollten wir den Primar anrufen?“. „Das hat keinen Sinn, der ist in seinem Urlaub nie erreichbar, aber probieren könnt ihr es ja.“ Dr. Engels war dennoch innerhalb von 10 Minuten da, sah das Röntgenbild, schnappte sich Daniel und eilte mit ihm in den OP mit den Worten „worauf wartet ihr, das Kind stirbt euch ja unter den Händen weg“.

Ich war wie ausgeschaltet und weinte nur noch wie ein kleines Häufchen Elend, als Ingrid mir das erzählte. Nun konnten wir nur noch warten und beten, dass Daniel diese OP überleben wird. Während ich das schreibe, kommen diese Gefühle alle wieder hoch und ich bin kaum in der Lage weiter zu schreiben. Ich musste mit irgend jemanden reden, also klingelte ich meine Eltern aus dem Bett. Ich hatte fürchterliche Angst. Draußen ging der Wind und es regnete in Strömen. Jedes Geräusch nahm ich auf. Ich wartete auf ein Zeichen Gottes und hoffte, dass es nicht gegen uns ist. Schließlich durchfuhr mich der Schrei eines Tieres von draußen. In meinem Kopf der Schrei eines Kindes. Ich wollte beten, konnte aber nur weinen. Schließlich nahm ich die Bibel und las im Buch Daniel. Ich dachte, „wenn du so stark bist, wie der Daniel, der dein Schutzpatron ist, dann hast du gute Chancen“. Dennoch, ich war total fertig. Dann noch die Gedanken dazu, wie es Ingrid gehen musste…

Um 0’45 Uhr ging ich zum Telefon, als Ingrid wieder anrief. Die Operation war vorbei, doch war nicht gewiss, ob Daniel überlebt. Ich wollte Ingrid nicht mehr länger alleine lassen und auch ich wollte keine Minute länger mehr alleine sein, als unbedingt nötig. Selber war ich nicht fähig mit dem Auto zu fahren, so ausgeschaltet und durch den Wind, wie ich war. Also bat ich Hans, den Bruder von Ingrid, der mich in der Morgendämmerung ins Kinderkrankenhaus nach Linz chauffierte, um Ingrid abzuholen. An Schlaf war ohnehin nicht zu denken, also fuhren wir gleich am nächsten Vormittag wieder nach Linz. Daniel lag an vielen Schläuchen auf der Intensivstation und es hieß für die nächsten 10-14 Tage, absolute Lebensgefahr. Ingrid und ich besuchten Daniel jeden Tag, obwohl wir ihn anfangs nicht einmal aus seinem Bett nehmen durften. Tagelang riefen wir Tag und Nacht alle 1-2 Stunden auf der Intensivstation an, um uns nach unserem Kind zu erkundigen. In höchster Anspannung vor jedem einzelnen Telefonat hieß es immer nur, „er atmet“.

Es war die schrecklichste Zeit in meinem Leben. So schräg sich das aber anhören mag, es war auch eine sehr gesegnete Zeit. Nach ein paar Tagen ging uns nicht zuletzt wegen des Schlafmangels die Kraft aus. Wir hatten nichts mehr unter Kontrolle und waren nur noch ein Häufchen Elend. Das veränderte auch unser Gebet: „Herr, dein Wille geschehe, wir geben Daniel frei, was immer dann passieren wird.“ Offen gestanden, blieb uns am Ende unserer Kräfte auch gar nichts anderes mehr übrig. Dennoch war es eine sehr tiefe Gotteserfahrung. Ab diesem Zeitpunkt ging es mit Daniel steil bergauf und wir konnten ihn zu unserer Überraschung bereits am dreizehnten Tag mit nach Hause nehmen. Es war ebenfalls eine sehr tiefgehende Erfahrung, was es heißt in solchen Zeiten Familie und Freunde zu haben. Wir fühlten uns von sehr vielen Menschen getragen und begleitet, wofür ich heute noch dankbar bin.

Daniel schlief im ersten Jahr bei Nacht kaum länger als eine Stunde durch, im zweiten Jahr wurde es nur langsam besser. Wir schrieben das seiner Krankheit zu. Für Ingrid war das mehr als herausfordernd. Ich würde sagen, sie brachte in ihrer großen Liebe unmenschliche Kräfte auf, um diese lange Zeit mit so wenig Schlaf durchzustehen. Ich kann mich jedoch kein einziges Mal daran erinnern, dass sie geklagt hätte. Wir waren einfach nur froh, dass Daniel lebte. Abgesehen von den Schlafproblemen entwickelte er sich ganz normal und ohne bleibende Schäden.

Auch Christian hatte keinen leichten Start. Im vierten Monat Schwanger, bekam Ingrid eine schwere Grippe mit ziemlich starken Hustenkrämpfen. Dabei hatten wir Angst, Christian zu verlieren. Diese Verlustangst übertrug sich auf Christian, wie in seinen ersten Lebensjahren eindeutig feststellbar war. Ingrid konnte nicht einmal alleine auf’s WC gehen, ohne Christian mitzunehmen, weil er total in Panik verfiel, sobald Ingrid außer Sichtweite war. Natürlich gäbe es auch über ihn viel zu erzählen, aber wohl wenig, was uns so intensiv gefordert hat.

Michael hatte einen recht guten Start in sein Leben. Sein größtes Problem war, wie er mit seinen älteren Geschwistern mithalten konnte. Dafür tat er wirklich alles! Er löste gemeinsam mit Christian die Mathematikaufgaben der ersten Klasse, obwohl er noch im Kindergarten war. Oder, er ging mit uns als Familie schon mit 5 Jahren auf den Warscheneck. Wir gingen von Vorderstoder auf die Zellerhütte, wo wir nächtigten (760 Hm), in der Früh auf den Warscheneck (848 Hm) und anschließend zurück ins Tal (1608Hm). Das alles, ohne ihn nur einen Meter getragen zu haben.
Etwas später wollte Michael Profifußballer werden. Meine Begeisterung dafür hielt sich in Grenzen. So konnte ich ihm in seiner Jugend in diesem für ihn sehr wichtigen Bereich nicht der Vater sein, den er sich wünschte. 

Heute wird mir immer wieder sehr viel durch unsere Enkelkinder bewusst, was wir bei der Erziehung unserer Kinder falsch gemacht haben. Da fragte ich mich zum Beispiel, ob es wirklich die Lernkurve von Johanna verbessert, wenn ich sie schimpfe, weil sie in ihrer quirligen Art schon wieder die Milch am Tisch verschüttet hat? Ich behaupte NEIN. Außerdem will ich ihr ihre quirlige, sprühende Art nicht abgewöhnen. Heute wische ich einfach weg, früher habe ich zumindest die Augen verdreht und tief geseufzt, was bei unseren Kindern so ankommen hätte können wie „bist du immer noch zu dumm, um das zu checken?“ Wenn ich daran denke, tut mir das heute noch leid. Ingrid glich da übrigens sehr viel aus. Sie war eine Löwenmutter im allerbesten Sinne, hat meine Reaktionen aber nie direkt vor den Kindern in Frage gestellt. Trotzdem waren unsere Jungs eines der ganz wenigen Themen, wo sie mir im anschließenden Gespräch liebevoll, aber bestimmt entgegenhielt, wenn ich wieder einmal zu gereizt war. Mit der Zeit durfte ich lernen, auf ihre Intuition zu vertrauen und meine schnelle Gereiztheit weniger wichtig zu nehmen.

Heute bin ich jedenfalls sehr stolz auf unsere drei, sehr unterschiedlichen Söhne! Ich empfinde es als ausgesprochenes Privileg, dass wir mit unseren Kindern sehr offen reden können, über weite Strecken viel Kontakt haben und uns trotz ihres Erwachsenenalters inklusive ihrer Partnerinnen und unserer Enkelkinder als Familie fühlen dürfen. Meine Rolle sehe ich dabei ähnlich, wie sie mein Papa gelebt hat. Ich möchte unseren Kindern vor allem Sicherheit geben und ihnen gemeinsam mit Ingrid ein Netz bieten, in dem sie gegebenenfalls nicht allzu weit fallen können. Alles andere liegt ja ohnehin in ihren eigenen und in Gottes Händen. Ich bin sehr froh, dass alle drei auf ihre individuelle Art und Weise so gut im Leben stehen!

20_Roitbinder

Einige Tage vor Weihnachten 1990 stand Willi Laimbauer am Jungersberg überraschend vor der Tür. Er hörte von Bekannten, dass wir eine Wohnung suchen. Willi erzählte uns, dass er vor kurzem das Roitbinder geerbt hat und nicht recht weiß, was er damit machen soll. „Im momentanen Zustand ist es ja nicht bewohnbar, aber vielleicht wollt ihr es euch herrichten“, meinte er.

Ingrid und ich waren sofort Feuer und Flamme für diese Idee. „Ein Haus am Flachberg, nicht weit weg vom Jungesberg, wie geil ist das denn?“
Die Besichtigung wäre für jeden normalen Menschen ernüchternd gewesen. Das Haus war relativ klein, der Schiffboden auf dem direkt darunter liegenden Lehm war durchgetreten und angefault. Es gab kein Bad und nur eine Kaltwasserleitung direkt in die Küche, die von einer oberflächlichen Quelle kam.

Das einzige Zimmer, welches sich als Kinderzimmer anbot, war feucht und schimmelig. Die alten Kastenfenster waren alles andere als dicht, es gab keine Zentralheizung und der Putz fiel teilweise von der Wand. Der Staub rieselte vom Heuboden durch die Holzdecke ins Schlafzimmer hinunter. Das Plumpsklo stand im Freien, das heißt, es gab aus dem Haus weder einen Abfluss, noch eine Senkgrube, die man anschließen konnte. Außerdem war das Haus bis oben hin voll mit Gerümpel.

Die Idee von Willi war, dass Ingrid und ich das Haus renovieren, er das Material bezahlt und wir dafür einige Jahre darin mietfrei wohnen dürfen.
Nachdem uns alle, die wir um Rat fragten, davon abrieten, handelten wir bei Willi volle 15 Jahre Wohnrecht heraus, ohne Miete zu zahlen. Wir
wollten das unbedingt machen! Das Haus gehörte zwar nicht uns, es fühlte sich aber im Gegensatz zu den besichtigten Mietwohnungen fast so
an. Wir setzten einen Vertrag auf, den Willi mit seiner Frau ohne irgend einen weiteren Änderungswunsch unterschrieb.

Wir waren so voller Euphorie, dass wir bereits am 13. Jänner begannen, bei eisiger Kälte das Haus auszuräumen. Bereits Anfang Februar betonierten wir den Unterboden im Bad und in der Stube. Bei den kalten Temperaturen war es nötig, den Schotter mit dem Krampen zu lösen und das Wasser mit dem alten Küchenofen zu wärmen, weil sonst die Mischmaschine angefroren wäre. Das Zusammenhelfen war eine große Stärke der Jungersfamilie. Oft fuhren Ingrid und ich in der Früh auf die Baustelle, in der Meinung, an diesem Tag nur zu zweit zu sein. Nur wenig später standen alle ihre Brüder ungefragt auf der Matte und packten mit an. Wenn ich irgendwo nicht weiter wusste, holte ich mir vor allem bei Ingrid’s Bruder Adi kompetenten Rat (das ist heute noch so).

Nach gut vier Monaten konnten wir Ende Mai schon provisorisch einziehen – einfach großartig! Um unseren Einzug gebührend zu feiern, fuhren wir spontan und ohne Buchung mit unserem blauen Mazda 323 nach Rom. Ein Zimmer war uns zu teuer, also übernachteten wir im Auto, unmittelbar neben dem Petersdom. Nächsten Tag besuchten wir mit dem Taxi alle größeren Sehenswürdigkeiten und so schnell wir kamen, fuhren wir auch wieder nach Hause. Na ja, das Urlaub machen mussten wir wohl erst lernen.

Unser ältester Sohn Daniel kam ein Jahr später zur Welt und wuchs die ersten Jahre im Roitbinder-Haus auf. Willi wurde zu seinem großen Freund, weil er ab und zu auf seinem 15er Steyrer-Traktor sitzen durfte.

„Begeisterung gibt unser menschlichen Seele die Kraft,Unmögliches zu schaffen.“

19_Meine Jobs

Nach meiner Lehrzeit war ich fast ein Jahr im Mittelspannungs-Leitungsbau. Um Versetzung zur Rayonsleitung Schärding suchte ich an, weil ich näher nach Hause wollte, aber auch weil der Partieführer im Leitungsbau kaum auszuhalten war. Ich kam jedoch vom Regen in die Traufe, als ich anfangs dem Partiestützpunkt Schardenberg zugeordnet wurde. Der Partieführer war ein cholerischer Alkoholiker, mit dem ich mich im Zuge seiner Ausbrüche regelmäßig anlegte. So einem cholerischen Menschen, der noch dazu mein Vorgesetzter war, bin ich ja in der Volksschule schon mal begegnet. Meine jugendliche Seele hat sich da wahrscheinlich irgendwann einmal gesagt, dass ich mir so etwas nie wieder gefallen lasse. Anschreien konnte mich echt keiner mehr ungestraft. Den machte ich sowas von zur Schnecke, als er meinte, er kann mir in seinem Suff einen Fehler umhängen, den ich gar nicht gemacht habe. Noch dazu meinte er, dass ich mit ihm zum Rapport in die Zentrale müsste. Als ich mit ihm fertig war, ist er abgehauen, hat diese Situation nie wieder angesprochen und war von nun an um einiges vorsichtiger mit mir.

Nach ein paar Monaten konnte ich zum Partiestützpunkt Schärding wechseln, wo alles ganz anders war. Diese Partie war für mich fast wie eine Familie. Wir hatten richtig Spaß bei der Arbeit. Wenn wir mit dem Bus zur Baustelle unterwegs waren, wurde die meiste Zeit über irgend etwas gescherzt und gelacht. Der dortige Partieführer, Franz Drexler, hat mich sehr geschätzt und ich konnte auch privat gut mit ihm reden.

Aufgrund meines Umzugs wurde mir bei der Betriebsleitung Gmunden eine Stelle als technischer Zeichner angeboten. Vom Zeichnen hatte ich keine Ahnung, aber das war dem Personalreferenten offensichtlich egal. Solche Elektropläne, wie sie in Kraftwerken verwendet wurden, hab ich noch nie zuvor gesehen. Am ersten Arbeitstag in Gmunden bekam ich von meinem direkten Vorgesetzten eine ganze Reihe Ordner hingestellt, mit den Worten, „die gehören überarbeitet“. Dann ging er wieder. Natürlich versuchte ich, ihm Fragen zu stellen, aber er war nur kurz angebunden und half mir nicht wirklich weiter – als wollte er sagen „du Trottel, wenn du’s nicht kannst, musst du’s halt lernen“. Er ließ mich ganze vier Wochen lang daran arbeiten und schielte im Vorbeigehen nur manchmal auf meinen großen, frei einsehbaren Zeichentisch, bis er dann meinte, „so geht das aber nicht“. Dann knallte er mir einen anderen Ordner auf den Tisch, mit den Worten, „schau dir die mal an“. Das hieß, ich musste von vorne beginnen. Ich war am Boden zerstört.

Trotzdem musste ich da durch. Ich konnte mich ja nicht schon wieder versetzen lassen. Kündigen war für mich auch keine Option. Mit der Zeit
suchte ich mir Kollegen, die mir weiter halfen und ich wuchs so recht und schlecht in die schwierige, neue Materie hinein. Es ging ja nicht nur darum, die Pläne lesen zu können, sondern ich musste zumindest die Grundzüge dieser Kraftwerkssteuerungen verstehen.

Totalen Auftrieb bekam ich, als im Jahr 1991 in der Firma die ersten Computer eingekauft wurden. Der Abteilungsleiter, Hr. Huemer, bekam eines der ersten Geräte. Er schob dieses auf einem Wagerl in unser Großraumbüro herüber und meinte, „ich kann damit nichts anfangen, vielleicht jemand von euch?“. Herbert und ich ließen uns das nicht zweimal sagen. Wir schalteten das Ding ein, studierten einen dicken Stapel an Handbüchern und saßen wochenlang gemeinsam am Computer, bis wir eine kleine Datenbankanwendung für die Planung der Kraftwerksrevisionen erstellt hatten.

Pläne wurden bisher noch mit Tusche gezeichnet. Als mir das unglaubliche Potential so eines neuartigen Computers vor Augen geführt wurde, wollte ich das unbedingt ändern. Ich traute mich jedoch niemanden von meinem Vorhaben zu erzählen, weil ich Angst hatte, dass ich zurückgepfiffen und als Spinner abgetan werden könnte. Dieses Risiko wollte ich auf keinen Fall eingehen. Ich wollte Geschichte schreiben, indem ich der erste in der OKA war, dem es gelingt, Pläne mit dem Computer in viel schnellerer Zeit und besserer Qualität zu zeichnen.

Von wahnsinnigem Ehrgeiz und totaler Faszination getrieben, nahm ich mir am Karfreitag Urlaub und fuhr nach Wels, um mir einen Computer zu kaufen. Ich gab dafür satte 20.000 Schilling aus und installierte die erforderliche Software, die ein befreundeter Freek aufgetrieben hatte. Schon am späten Nachmittag zeichnete ich an diesem riesigen Plan (das Regulierölschema des Kraftwerkes Gmunden), den ich am Dienstag in der Früh fertig haben wollte, um ihn in der Firma zu präsentieren. Ingrid bekam mich an diesem Wochenende nur bei den möglichst kurz gehaltenen Mahlzeiten zu Gesicht. Am Freitag wurde es weit nach Mitternacht und von Samstag bis Montag verbrachte ich auch jeweils 16-18 Stunden am Computer. Spät in der Nacht zum Dienstag wurde ich tatsächlich mit meinem Vorhaben fertig. Mit dem Tuschestift hätte ich dafür mindestens 3 Monate gebraucht.

Voller Vorfreude auf die Reaktion meines Chef’s und der Bürokollegen, druckte ich den in etwa 1m² großen Plan in der Früh im Büro aus und zeigte ihn mit noch dicken Augenringen, etwas nervös, aber mit stolzer Brust, her. Alle waren sprachlos und konnten es zuerst gar nicht fassen, was ich ihnen da zeigte. „was ist das, wie gibt es denn so was?“, „schau dir das an, wie genau das alles ist und jeder Strich gleich dick…“ Mein Plan wurde herumgereicht und nach allen Seiten gedreht, als käme er von einem anderen Stern. „Und das haben Sie alles am Osterwochenende gemacht?“, strahlte mich mein Chef, Hr. Huemer an. Er kam aus dem Staunen und Wundern gar nicht mehr heraus.

Gefühlt war das mein größter beruflicher Erfolg in den 40 Jahren, die ich nun in dieser Firma bin. Mein Engagement und meine Affinität zur EDV gab meinem Stellenwert in der Abteilung gewaltigen Auftrieb. Mit einem Schlag wurde ich anerkannt und geschätzt. Eine Lawine an Veränderungen ist ins Rollen gekommen und ich war von Beginn an dabei. Ich bin dankbar, dass ich diese Pionierzeit so aktiv mitgestalten durfte.

Meine Karriere, als nunmehr Verantwortlicher für die Digitalisierung der Prozesse im Kraftwerksbereich wäre mit meinem bisschen Schulbildung sonst nicht möglich gewesen. Natürlich gab es in den vielen Jahren meines Berufslebens immer wieder einmal schwierige Phasen. Trotzdem kann ich sagen, dass ich zum allergrößten Teil gerne in die Arbeit ging. Ich durfte große IT-Projekte abwickeln, mit denen Kollegen von anderen Energieversorgern damals noch kläglich scheiterten. Immer, wenn die Umsetzung eines Projektes als schwierig oder gar unmöglich eingestuft
wurde, entwickelte ich besonderen Ehrgeiz. Mein Motto war, „geht nicht, gibt’s nicht“. Ich ging dabei nicht selten an meine gesundheitlichen Grenzen. Einmal wurde ich von meinem Chef sogar gemahnt, mir das alles nicht so zu Herzen zu nehmen, als er merkte, wie sehr ich am Limit war. Er meinte, „Herr Steininger, wir brauchen Sie noch länger. Es macht nichts, wenn das alles ein bisschen länger dauert“.

Mit Niederlagen konnte ich in der Firma ebenso wenig umgehen, wie damals bei den Schachturnieren. Meine größte Niederlage war, als ich bei der ersten Schaltberechtigungsprüfung durchfiel. Ich schämte mich mächtig und konnte es nicht verhindern, dass ich unter all den Anzugträgern in Tränen ausbrach. Mein Chef bat mich darauf hin in sein Büro, öffnete die hintere Tür einer großen dunklen Schrankwand, holte eine Flasche Schnaps heraus und schenkte zwei Gläser ein. „Herr Steininger, machen Sie sich nichts draus, da redet bald kein Mensch mehr darüber“, meinte er fast väterlich. Vier Wochen später trat ich noch einmal zu dieser Prüfung an und konnte mit meinem Wissen restlos überzeugen. Dieser eine Satz meines Chefs hilft mir heute noch manchmal, über Misserfolge hinweg zu kommen.

Wenn ich nun auf meine berufliche Laufbahn zurück schaue, dann war ich auch in diesem Bereich häufig von der Angst getrieben, Fehler zu machen oder nicht gut genug zu sein. Trotz meiner Erfolge hielt ich meine Kollegen für viel intelligenter und hatte Angst, mit meinen bescheidenen Fähigkeiten Außenseiter zu sein und nicht wirklich dazu zu gehören. In den letzten zehn Jahren sind viele meiner diesbezüglichen Ängste heil geworden. Durch einige Pensionierungen änderte sich das Klima in meinem gesamten Arbeitsumfeld noch einmal sehr zum Positiven.

Vielleicht war ich eine besonders harte Nuss, aber Wertschätzung heilt tatsächlich, davon bin ich zu tiefst überzeugt! Nicht von heute auf morgen, aber auf Dauer kann sich dieser Wirkung keiner entziehen. Das gilt in der Paarbeziehung genau so wie in der Firma. Mein jetziger Chef, Hr. Rechberger, kann das besonders gut, weil es auch ehrlich rüber kommt. Er traut mir viel zu, verlässt sich auf meine Expertise und es vergeht kaum ein Tag, an dem er seine Wertschätzung nicht ausspricht oder mich diese zumindest spüren lässt. Das hebt meinen Selbstwert, was wiederum zur Folge hat, dass ich kreativer bin, mehr Freude an der Arbeit habe und somit produktiver bin. Ich fühle mich nun wirklich als ein vollwertiges und wichtiges Mitglied im Stab der Geschäftsführung. Auch dass ich jener Mitarbeiter mit der geringsten Schulbildung in dieser Abteilung bin, ist für mich jetzt kein Problem mehr. Vor allem genieße ich das große Vertrauen in meine Arbeit und die Freiheit, mir meine Projekte meistens selber aussuchen zu können.

„Ich habe immer Dinge getan, für die ich noch nicht ganz bereit war.
So wächst man.“

18_Unsere Traumhochzeit

Man sagt ja, dass die Hochzeit der schönste Tag im Leben sein sollte – und ja, es war wirklich unbeschreiblich schön! Wir heirateten am 22. September in Gmunden, zuerst am Standesamt und anschließend in der Stadtpfarrkirche. Am Vormittag hat’s Schnee gepatzt, aber das war uns völlig egal.

Ingrid war so wunderschön in ihrem Brautkleid! Sie war innen wie außen intergalaktisch perfekt für mich! Ich war richtig stolz drauf, dass Ingrid nun tatsächlich meine Frau wurde und bin jetzt noch tief berührt, während ich das schreibe. Die Stadtpfarrkirche war fast voll. Besonders freute mich, dass meine Jungscharkinder dabei waren, mit denen ich in der Woche zuvor noch auf Lager war. Die sind mir wirklich total ans Herz gewachsen und gleichzeitig war es ja auch ein Abschied, der mich sehr berührte.

Als wir nach der Trauung vor der Kirchentür die nicht endend wollenden Gratulationen entgegen nahmen, war ich überwältigt. Dass diese vielen
Menschen alle wegen uns kamen, war für mich sehr beeindruckend, auch wenn ich viele gar nicht kannte.

Der Grünbergwirt war bis an den letzten Platz belegt. Einer der Höhepunkte war für mich, als die Jungscharkinder für uns „Wahre Freundschaft“ sangen. Das Salzkammergut Trio hätte besser nicht passen können und so haben wir gefeiert, getanzt, getrunken, gespeist,… bis ungefähr halb eins. Ich könnte mich in vielen schönen Details verlieren, aber auf den Punkt gebracht, es war einfach voll die megageile Hochzeit! Es war, als schwebten wir den ganzen Tag auf einer Wolke. Wir mussten uns um nichts kümmern, sondern uns einfach nur von der vielen positiven Energie unserer lieben Gäste tragen lassen. Was für ein toller Start in unsere Ehe! Die Hochzeitsnacht bleibt unser Geheimnis 😉

Sehr schön war am nächsten Morgen für mich das gemeinsame Frühstück mit der Familie von Ingrid. Das gab mir von Beginn an das wohlig warme Gefühl, angekommen und eingebettet zu sein, in diese neue Lebenswelt. Gewohnt haben wir in den ersten Monaten unserer Ehe in zwei mehr oder weniger unbeheizten Zimmern am Jungesberg. Den „Troadboden“ mussten wir dafür erst mal bewohnbar machen, wir waren jedoch froh, diese Möglichkeit bekommen zu haben und wollten erst dann in aller Ruhe auf Wohnungssuche gehen.

“Ich will dich lieben, achten und ehren, ein Leben lang…”

17_Unsere Verlobung

Am Jungesberg war ich gern gesehener Gast. So verbrachten wir die Wochenenden fast ausschließlich in Gmunden. Mit Ingrids Mama verstand
ich mich ohnehin sofort. Mit ihr konnte man sich nur gut verstehen. Sie war eine total herzliche und ebenfalls sehr gläubige Frau, die immer um das Wohlergehen der anderen bemüht war und sich selber bescheiden zurück stellte – genau wie Ingrid. Sie gab mir von Anfang an das Gefühl, ein willkommener Schwiegersohn zu sein.

Dem Papa von Ingrid konnte ich das nicht so direkt anmerken, aber es gab nie irgend eine Art von Unstimmigkeit. Er war eher so der Typ „ihr müsst selber wissen, was ihr tut“. Ich denke, ich war ihm auch von Anfang an ein von Herzen willkommener Schwiegersohn. Die Generationenkonflikte am Jungesberg berührten uns nur ganz am Rande und moralisiert wurde im Elternhaus von Ingrid überhaupt nicht. Mir schien damals, ihre Eltern hatten grenzenloses Vertrauen zu Ingrid, was mich sehr faszinierte. Genauso gut könnte es natürlich gewesen sein, dass über manche Themen einfach aus Hilflosigkeit nicht geredet wurde.

Verlobt haben wir uns am 1. Mai 1990 bei Sonnenaufgang am höchsten Punkt des Flachbergs. Das war nach außen hin ziemlich unspektakulär,
aber für uns das Größte! Es gab da weder einen Antrag, noch einen Ring. In dem Bewusstsein, dass unserer Liebe nichts gefährlich werden konnte, gab ein Wort das andere, bis wir aus unendlicher Begeisterung füreinander beschlossen, zu heiraten. Wir waren sooo glücklich. Ich hätte Luftsprünge machen können, vor lauter Freude!

Dass wir noch gar nicht so lange ein richtiges Liebespaar waren, störte uns nicht. Wir waren uns einfach beide absolut sicher (und behielten bis heute Recht)! Nach 35 Jahren Ehe sage ich mit unbeschreiblich großer Freude, „es war mit Abstand die beste Entscheidung, die wir je getroffen haben“.

Wir konnten unser Glück kaum fassen und teilten unsere Verlobung gleich Ingrid’s Eltern mit. Wir wollten im September 1990 heiraten. Mama strahlte mit ihrem schönsten Lächeln und schlug freudig die Hände zusammen. „Ja schön, dann braucht ihr nicht noch einen Winter hin und her fahren“, meinte sie ganz praktisch und liebevoll. Es war, als hätte sie schon auf diese längst überfällige Mitteilung gewartet. Papa holten wir aus dem Bett, weil wir gleich anschließend noch nach Taufkirchen fahren wollten. Er war noch ziemlich verschlafen und irgendwie waren wir uns im ersten Moment gar nicht sicher, ob er unsere Botschaft wirklich verstand. Er sagte „mir ist es Recht“ und verschwand ziemlich schnell wieder im Schlafzimmer. Für seine nüchterne Reaktion entschuldigte er sich später sogar. Er war wohl wirklich noch etwas verschlafen.

In Taufkirchen angekommen, trafen wir als erstes im Esszimmer meine Mama an. Als wir ihr offenbarten, dass wir heiraten wollen, brach sie in
Tränen aus, weil sie gerade auch ein paar andere Dinge zu verarbeiten hatte und mit ihren Nerven völlig am Ende war. Der Freund von Gerlinde verunglückte vor Kurzem, bei Fredi bestand Verdacht auf Tuberkulose,… Dennoch rechneten wir mit vielem, aber damit nun wirklich nicht.

Etwas nervös gingen wir zu Papa in den Hof hinaus und überbrachten ihm die selbe Nachricht. Er lächelte uns an und stellte gleich allerhand
praktische Fragen zu unserem geplanten Fest. Für ihn war unsere Heirat offensichtlich OK. Aufgrund der bisherigen Reaktionen waren unsere
Erwartungen ja nicht mehr allzu hoch, aber mich konnte zu diesem Zeitpunkt ohnehin nichts mehr verunsichern.

Jetzt war endlich Klarheit geschaffen. Das hatte auch zur Folge, dass sich das Verhältnis zu meiner Mama deutlich verbesserte. Den letzten größeren, nein, kleineren Disput seit nunmehr 35 Jahren gab es bei unseren Hochzeitseinladungen. Mama war der Meinung, dass wir ihre gesamte, riesige Verwandtschaft, den Kirchenchor, die Arbeitskollegen von Papa, etc. einladen mussten. Ich wollte das nicht, habe aber irgendwann um des Friedens willen nachgegeben. Schließlich ließen wir 400 Einladungen drucken und haben dann nochmals 50 nachgedruckt, weil Mama immer wieder jemand einfiel, der unbedingt eingeladen werden musste.